Großbritannien:Kalte Herzen

Die konservative Regierung in London hat bisher so getan, als gehe sie die große Flüchtlingskrise in Europa nichts weiter an. Doch nun wächst der Druck, mehr zu tun. Und es sind nicht nur Oppositionspolitiker, die dies fordern.

Von Christian Zaschke

Der britische Premierminister David Cameron gerät wegen seiner harten Haltung in der Flüchtlingsfrage zunehmend unter Druck. Mehrere Abgeordnete, darunter Vertreter seiner eigenen Partei, haben gefordert, dass Großbritannien deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen müsse als bisher. Der konservative Abgeordnete David Burrowes sagte am Donnerstag: "Unsere Regierung sollte nicht Hunderte, sondern Tausende Flüchtlinge aufnehmen." Peter Sutherland, Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für internationale Migration, sagte, während einige Länder große Lasten schulterten, gehöre Großbritannien zu den Staaten, die mehr tun könnten.

Im vergangenen Jahr hat das Vereinigte Königreich im Rahmen eines Programms für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge lediglich 216 Menschen aufgenommen. Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien haben zudem 5000 Menschen aus der Region in Großbritannien Asyl erhalten. Cameron hatte am Mittwoch gesagt, es sei keine Lösung, einfach "mehr und mehr Menschen" aufzunehmen. Man müsse vielmehr dafür sorgen, dass sich die Situation in den Krisengebieten verbessere. Nach weitreichender Kritik an dieser als kühl wahrgenommenen Äußerung schlug Cameron am Donnerstag einen anderen Ton an. Er verwies darauf, dass Großbritannien bereits 900 Millionen Pfund (1,2 Milliarden Euro) an humanitärer Hilfe für Syrien bereitgestellt habe, mehr als jedes andere europäische Land. "Großbritannien ist ein moralisches Land", sagte er, "und wir werden unsere moralischen Verpflichtungen erfüllen."

In Petitionen fordern die Briten, mehr Flüchtlinge ins Land zu lassen

Seitdem am Donnerstag die meisten Zeitungen des Landes auf ihrer Titelseite das Foto eines toten Flüchtlingsjungen zeigten, der an der türkischen Küste ertrunken war, scheint sich die Debatte in Großbritannien in eine neue Richtung zu bewegen. In den sozialen Medien äußerten sich viele Abgeordnete bewegt und forderten, dass das Land mehr tun müsse. Auch ein Regierungssprecher nannte das Bild schockierend, beharrte jedoch zunächst darauf, dass es keine Lösung der Krise sei, wenn das Land nun einige Tausend Flüchtlinge aufnehme.

Schatten-Gesundheitsminister Andy Burnham, einer der Kandidaten für den Vorsitz der Labour-Partei, hat gefordert, dass der Premier eine Notfall-Debatte einberuft, wenn das Parlament am kommenden Montag nach der Sommerpause wieder zusammentritt. Es solle rasch darüber abgestimmt werden, ob mehr Flüchtlinge ins Land gelassen werden. Schatten-Innenministerin Yvette Cooper, ebenfalls Kandidatin für den Labour-Vorsitz, hat an Cameron geschrieben und vorgeschlagen, dass rasch 10 000 Flüchtlinge aufgenommen werden, da es sich um "die größte humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" handele.

In mehreren Unterschriftenaktionen haben sich inzwischen Zehntausende Briten für ein stärkeres Engagement ihrer Regierung ausgesprochen. In einer ans Parlament gerichteten Petition heißt es: "Es gibt eine weltweite Flüchtlingskrise. Großbritannien gewährt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht angemessen Asyl." Da diese Petition von mehr als 100 000 Menschen unterzeichnet wurde, muss das Anliegen nun als mögliches Thema einer Debatte im Unterhaus geprüft werden.

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