Großbritannien:Jenseits vom Brexit

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Labour liegt in Umfragen hinter den Tories. Parteichef Corbyn bemüht sich nun, soziale Gerechtigkeit zum zentralen Wahlkampfthema zu machen.

Von Christian Zaschke, London

Wenn die Stimmung im ganzen Land so wäre wie beim offiziellen Wahlkampf-Auftakt der Labour-Partei am Dienstag in Manchester, bestünde kein Zweifel daran, dass der nächste Premierminister Großbritanniens Jeremy Corbyn hieße. Der Labour-Chef hielt seine dynamischste und kämpferischste Rede seit Langem, was von seinen Anhängern mit großer Begeisterung aufgenommen wurde. So viel ausgelassener Jubel war bei Labour zuletzt selten. Das Problem der Partei: In den jüngsten Umfragen liegt sie 22 Prozentpunkte hinter den Konservativen von Premierministerin Theresa May.

Corbyn vermittelte am Dienstag den Eindruck, dass dieser Rückstand durchaus aufzuholen sei, weil die Menschen in den kommenden vier Wochen bis zur Wahl am 8. Juni das wahre Gesicht der Labour-Partei sähen. Er hat sich dazu entschieden, sich weit links von den Tories zu positionieren, was Ausdruck in einer deutlichen Sprache fand. Man werde gegen "Steuerbetrüger und gierige Banker" vorgehen, denen er ein "Erwachen" versprach. Die Wirtschaft werde zulasten der einfachen Bürger manipuliert, während einige wenige Menschen immer reicher würden - das werde sich unter Labour ändern. "Wir haben jetzt vier Wochen, um uns unseren Wohlstand zurückzuholen", rief er.

Der 67 Jahre alte Corbyn stammt aus dem altlinken Flügel der Partei und ist 2015 überraschend zum Vorsitzenden gewählt worden. 2016 wurde er auf dem Posten bestätigt, jeweils mit komfortabler Mehrheit. Die Basis steht fest zu Corbyn. Die meisten Parlamentarier sind dennoch unzufrieden mit dem Chef, weil sie glauben, die Wahl lasse sich nur mit moderaten Positionen gewinnen. Corbyn hat am Dienstag klargemacht, dass er der gegenteiligen Ansicht ist. Die Basis nahm es mit Freude auf.

Die Tories versuchen, die Wahl zu einer Abstimmung zu machen, in der es allein um den Brexit geht. Unermüdlich wiederholen sie, es gehe nur darum, wer mit Brüssel über den Austritt aus der EU verhandeln solle: Corbyn oder May. Der Labour-Chef versucht, eine andere Agenda zu setzen. Es gehe nicht darum, wer sich Brüssel gegenüber am härtesten gebe, sondern um soziale Gerechtigkeit. Er wies darauf hin, dass die Tories in den vergangenen sieben Jahren diverse Soziallleistungen gekürzt haben. Labour hingegen werde das Land neu gestalten und Geld von den Reichen zu den Armen umverteilen. Er versprach Investitionen in Hausbau, Schulen und den nationalen Gesundheitsdienst und stellte ein Ende der Privatisierungen im Energiesektor, bei der Eisenbahn und im Gesundheitswesen in Aussicht. Wer mehr als 80 000 Pfund (etwa 95 000 Euro) im Jahr verdiene, solle künftig spürbar höhere Steuern zahlen.

Was den Brexit angeht, sagte Corbyn, dass Labour akzeptiert habe, dass das Land die EU verlassen werde: "In dieser Wahl geht es nicht mehr um den Brexit. Diese Frage ist geregelt. Die Frage ist jetzt: Was für ein Land soll Großbritannien nach dem Austritt sein?"

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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