Großbritannien:20 Jahre Frieden

Paramilitary Groups Set Up A New Loyalist Community Council

3600 Menschen starben in 30 Jahren Konflikt: paramilitätisches Mural in Belfast.

(Foto: Charles McQuillan/Getty Images)

Das Karfreitagsabkommen erlöste Nordirland vom Morden zwischen Katholiken und Protestanten. Doch was passiert nach dem Brexit?

Von Cathrin Kahlweit, London

Noch Stunden vor jenem großen Moment, an dem das mühsam ausgehandelte Karfreitagsabkommen vor 20 Jahren endlich unterzeichnet werden sollte, glaubten einige der Beteiligten nicht, dass es tatsächlich gelingen würde. Jonathan Powell, Mitarbeiter des damaligen Premierministers Tony Blair, der an den Verhandlungen beteiligt war, die endlich Frieden nach Nordirland bringen sollten, sagt rückblickend: "Es war ein Albtraum." Als Blair und er in Belfast eintrafen, habe US-Chef-Unterhändler George Mitchell gesagt: "Was wollt ihr hier?" Er moderierte damals die Gespräche zwischen den pro-britischen Unionisten und den auf eine Vertreibung der britischen "Besatzer" und die irische Wiedervereinigung hoffenden Nationalisten. Es werde kein Abkommen geben, so Mitchell frustriert. Keiner der Beteiligten sei zu einer Unterschrift bereit, die das Ende des beschönigend "Troubles" genannten Bürgerkriegs bedeuten sollten.

Die Vernunft siegte, vielleicht auch die Erschöpfung. Separatisten, Sektierer, Paramilitärs waren bereit, zumindest so etwas wie Koexistenz zu versuchen: 3600 Tote in 30 Jahren, Misstrauen, Hass, Opfer in fast jeder Familie, alltägliche Gewalt, Folter, überfüllte Haftanstalten, britisches Militär auf den Straßen - all das sollte ein Ende haben. Und so unterzeichneten die nordirischen Konfliktparteien schließlich doch, ebenso wie Blair für London und sein Counterpart Bertie Ahern für Irland.

Am 10. April 2018 haben sich nun der britische Ex-Premier, der damalige US-Präsident Bill Clinton sowie zahlreiche irische Politiker erneut in Belfast getroffen. Aber bei aller Genugtuung darüber, dass das legendäre Abkommen mit Leben erfüllt wurde und tatsächlich in einen Frieden mündete, ist die Skepsis groß. Blair betonte, die Gräben seien nach wie vor tief, der Frieden längst keine Selbstverständlichkeit. Und das Karfreitagsabkommen drohe unterminiert zu werden: durch den Brexit, der dem mittlerweile befriedeten Gebiet zwischen Nordirland und der Republik Irland eine neue Grenze bescheren könnte. Und durch die fehlende Kompromissbereitschaft zwischen den politischen Parteien in Belfast. Seit 15 Monaten hat Nordirland keine Regierung; die gesetzlich vorgeschriebene Teilung der Macht zwischen DUP (protestantisch-unionistisch) und Sinn Fein (katholisch-republikanisch) funktioniert nicht mehr. Bis heute können sich beide Seiten nicht über symbolische Fragen wie ein Gesetz für die irische Sprache einigen. Die Nordiren sind also ohne eigene Stimme, während in London, Dublin und Brüssel über ihre Zukunft entschieden wird.

Jahrzehnte vereinte die EU als Klammer das britische Nordirland mit der irischen Republik

Jahrzehntelang war die EU die Klammer gewesen, unter der das britische Nordirland mit der irischen Republik vereint war; dass die Grenze zwischen Nord und Süd nicht mehr spürbar ist und die Regionen zusammenwuchsen, war Folge eines gemeinsamen Wirtschaftsraums, der zunehmend zu einem gemeinsamen Kulturraum wurde. Doch nun droht der Brexit eine neue Grenze einzuziehen; und egal ob sie eine harte Zollgrenze oder "nur" eine wie auch immer geartete, weiche EU-Außengrenze sein wird, könnte sie wieder zu einer Barriere in den Köpfen werden, mit der auch die Gewalt zurückkehrt.

Vor dem Karfreitagsabkommen hatten viele der politischen Gegner noch nie im Leben ein Wort miteinander gesprochen. Die militärischen Einheiten hinter den Parteien überzogen das Land in einer Mischung aus Hybris und Unversöhnlichkeit mit Bombenanschlägen und gezielten Attentaten. Es war der längste Bürgerkrieg im Nachkriegseuropa, und nicht alles ist gut. Auch nach dem 10. April 1998 gab es Tote; 150 Menschen sind seither durch Gewaltakte gestorben. Und bis heute gibt es in Belfast Friedenswände, welche die Wohngebiete pro-irischer und pro-britischer Bewohner trennen. Noch immer gehen protestantische und katholische Kinder nicht selbstverständlich gemeinsam zur Schule.

Aber vieles funktioniert: In dem Abkommen wurde vor 20 Jahren eine eigene Polizeitruppe für Nordirland verabredet, nordirische und irische Behörden arbeiten zusammen, die Paramilitärs haben ihre Waffen abgegeben (obwohl Skeptiker sagen, es seien nicht alle gewesen), Nordiren können irische Pässe beantragen, eine Wiedervereinigung ist explizit nicht ausgeschlossen worden. Das Abkommen hat Schwächen, wie an der aktuellen Unregierbarkeit des Stormont, des Belfaster Parlaments, abzulesen ist - aber es hält. Sollte es jedoch wieder eine Grenze zwischen Nord und Süd geben, warnte nun der damalige Unterhändler George Mitchell, sehe er große Probleme voraus. Bis sich der Frieden in den Köpfen verankere, brauche es Generationen.

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