EU-Austritt des Vereinigten Königreichs:Mays Hilferuf an die Gegner

Britain's Prime Minister Theresa May talks with Australia's Prime Minister Malcolm Turnbull at Downing Street, London

"Keinerlei Ideen" oder "erwachsene" Politik? Theresa May hofft auf Input vom politischen Gegner.

(Foto: REUTERS)
  • Die britische Regierung ist geschwächt. Premierministerin May wird die Opposition daher heute dazu auffordern, beim Brexit zusammenzuarbeiten.
  • Doch bei der Labour-Party herrscht daran vermutlich kein Interesse. Parteichef Corbyn hat anderes im Auge.

Von Christian Zaschke, London

Wenn die konservative Premierministerin Theresa May an diesem Dienstag ihre erste große Rede seit der Wahl im Juni hält, wird sie etwas tun, das in der britischen Politik äußerst ungewöhnlich ist: Sie wird die oppositionelle Labour-Partei zur Zusammenarbeit aufrufen. Es sei an der Zeit, etwas beizutragen und nicht bloß zu kritisieren, wird sie ausweislich der vorab veröffentlichten Auszüge der Rede sagen.

Labour reagierte umgehend. Andrew Gwynne, der den Wahlkampf der Partei koordiniert hatte, sagte am Montag: "Theresa May hat akzeptiert, dass die Regierung keinerlei Ideen hat. Daher muss sie jetzt Labour um Vorschläge anbetteln."

May hält ihre Rede genau ein Jahr, nachdem sie als Nachfolgerin von David Cameron den Amtssitz in 10 Downing Street bezogen hatte. Ihr Vorgänger hatte ihr eine absolute Mehrheit hinterlassen. Diese hat May bei der vorgezogenen Neuwahl vor gut einem Monat verloren.

Ihre Partei erzürnte das aus zweierlei Gründen: Zum einen hatte May mehrmals versprochen, keine Neuwahl abzuhalten, weil das Land Stabilität brauche. Zum anderen hat sie dieses Versprechen dann gebrochen, weil sie sich große Zugewinne und damit eine stärkere persönliche Machtposition erhoffte. Ergebnis: Das Land hat eine instabile Regierung und ihre persönliche Position ist so weit geschwächt, dass in der Partei offen darüber spekuliert wird, wie lange sie sich noch im Amt halten kann.

Mays Rede wird als Versuch eines Neustarts interpretiert. Da sie im Parlament nur mit Hilfe der erzkonservativen nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) auf eine sehr knappe Mehrheit kommt, wird sie voraussichtlich auf die Hilfe der Opposition angewiesen sein, insbesondere wenn es um komplexe Themen wie die Umsetzung des Brexit geht.

Mittlerweile haben sich EU-freundliche Abgeordnete von Labour und den Konservativen zu einer überparteilichen Gruppe zusammengeschlossen, die verhindern will, dass es zu einem Austritt ohne substantielles Abkommen mit der EU kommt. May kann also nicht davon ausgehen, dass ihre Fraktion geschlossen hinter ihr steht.

Corbyn hofft auf Neuwahlen

Die Premierministerin forderte die Oppositionsparteien auf, eigene Ideen mit in die Regierungsarbeit zu bringen. Sie sagte: "Wir werden vielleicht nicht in allem einer Meinung sein, aber durch Debatte und Diskussion können Ideen verbessert werden, und wir können ein besseres Vorgehen finden."

Dass Labour ein Interesse an einer solchen Zusammenarbeit hat, gilt als unwahrscheinlich. Der Vorsitzende Jeremy Corbyn hofft in Anbetracht der geschwächten Regierung auf neuerliche Wahlen im September. In jüngsten Umfragen liegt seine Partei vor den Konservativen.

Verbündete von May verteidigten ihren Vorstoß. Kabinettschef Damian Green, der de facto ihr Stellvertreter ist, sagte, dies sei die "erwachsene Art", Politik zu machen. Man müsse aufhören, in Gräben zu sitzen und einander zu beschießen. Zu den innerparteilichen Plänen, die Regierungschefin bald abzulösen, sagte Justizminister David Lidington, solche gebe es nur bei Kollegen, die "zu viel warmen Prosecco" getrunken hätten.

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