Großbritannien:Goldenes Zeitalter in Gefahr

A horse grazes in front of Hinkley Point A and B nuclear power stations near Bridgwater in Britain

Vor dem Atomkraftwerk Hinkley Point bekommt ein Pferd Auslauf. Ob China sich am Ausbau beteiligen darf, ist ungewiss.

(Foto: Darren Staples/Reuters)

In keinem anderen europäischen Land investiert China mehr als in Großbritannien. Doch nun zögert London mit dem Bau eines AKWs.

Von Kai Strittmatter und Christian Zaschke, London/Peking

An diesem Donnerstag bricht Premierministerin Theresa May in den Urlaub auf, und gerade rechtzeitig hat ihr der chinesische Botschafter in Großbritannien noch etwas Stoff zum Nachdenken mitgegeben. In einem Gastbeitrag in der Financial Times schrieb Liu Xiaoming, dass die chinesisch-britischen Beziehungen an einer "entscheidenden historischen Wegkreuzung" stünden. Damit bezieht er sich auf den Entschluss der britischen Regierung, die Entscheidung über den Bau des Atomkraftwerks Hinkley Point C in Somerset bis zum Herbst zu vertagen.

Ursprünglich war geplant gewesen, die Verträge im Juli zu unterzeichnen. Das 18 Milliarden Pfund (21,5 Milliarden Euro) teure Projekt soll zu zwei Dritteln vom französischen Staatskonzern EDF finanziert werden. Das restliche Drittel will die China General Nuclear Power Corporation (CGN) übernehmen. Überraschend hatte die neue britische Regierung aber verkündet, sich das Projekt noch einmal genau ansehen zu wollen. Es wurde vermutet, dass das mit Mays Zweifeln daran zu tun hat, ob es klug ist, China die Investition in wichtiger Teile der nationalen Infrastruktur zu erlauben.

Botschafter Liu schreibt, das "gegenseitige Vertrauen" müsse nun im Vordergrund stehen. Er hoffe, dass die Briten am Bau des AKWs festhielten und schnell zu einer Entscheidung kämen. Er verwies darauf, dass China in den vergangenen fünf Jahren mehr im Vereinigten Königreich investiert habe als in Deutschland, Frankreich und Italien zusammen, und dass es für beide Länder "nicht einfach" war, an diesen Punkt zu kommen. Den Subtext dürfte May unschwer entschlüsseln: Stoppen die Briten das Projekt, belastete dies die Beziehungen.

Tatsächlich droht das vor Kurzem noch als Gipfel der Harmonie gefeierte Verhältnis zu Großbritannien aus chinesischer Sicht eine Enttäuschung auf ganzer Linie zu werden. Chinas Staatsmedien verbreiten schon seit ein paar Tagen die Botschaft: Wenn der Hinkley-Deal wirklich platzt, dann könnte das viel beschworene "goldene Zeitalter" bilateraler Beziehungen schon am Ende sein, bevor es überhaupt begonnen hat. Die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua sprach in der vergangenen Woche von "beschädigtem Vertrauen". Jiang Shixue, als Vizedirektor der Europaabteilung bei der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften einer der Europaberater der Regierung, nannte das Verhalten Londons gar eine "Schande".

Schon die Entscheidung für den Brexit dürfte Chinas Führung überhaupt nicht gefallen haben: Sie katapultierte in David Cameron nicht nur den chinafreundlichsten Premierminister aus dem Amt, der je in der Downing Street residiert hat, sie bringt China auch um den besten Anwalt seiner Interessen innerhalb der EU.

Aus Chinas Sicht wäre ein Projekt wie in Großbritannien die Chance, um Vertrauen zu gewinnen

Nun droht auf die politisch-diplomatische Enttäuschung die industriepolitische zu folgen. Nach einer kurzen Phase des Innehaltens in der Folge der Reaktorkatastrophe von Fukushima setzte Chinas Regierung bald wieder auf die Atomindustrie. Im Frühjahr hatte China 55 AKWs fertiggestellt oder im Bau, bis Ende 2020 sollen es 88 sein. Es ist zudem das erklärte Ziel, mit den Reaktoren auch im Ausland zu reüssieren. Die finanzielle Beteiligung an Hinkley Point sollte ein erster Schritt sein, bei weiteren Projekten sollte dann auch chinesische Nukleartechnologie zum Einsatz kommen. Ein Durchbruch fürs Image sollte es zudem sein, ist China doch bislang nicht bekannt für den Export von Hochtechnologie. Lin Boqiang, Direktor des Zentrums für Energiewirtschaft an der Universität Xiamen, klagte in der Zeitung Global Times, wie schwer es Chinas Atomindustrie im Westen habe: Ein Projekt wie Hinkley Point sei kostbar und eine Chance, um "Erfahrung und Vertrauen zu gewinnen".

Gerade in sensiblen Bereichen wie der Atomindustrie trifft chinesische Technologie vielerorts auf Skepsis, was Qualität und Sicherheitsstandards angeht. In Hongkong war erst vor Kurzem eine Debatte über die Risiken der Industrie ausgebrochen, als die chinesische Regierung einen vertuschten Unfall enthüllte: Demnach war der Ausfall von Pumpen in einem AKW in Hongkongs Nachbarprovinz Guangdong vom Betreiber ein Jahr lang verschwiegen worden. Die China Business News berichtete daraufhin von einem "akuten Mangel" an qualifizierten Nukleartechnikern und -ingenieuren in China, der die Sicherheit in Chinas AKWs gefährde.

Die Regierung von May s Vorgänger David Cameron hatte das Projekt in Somerset ausdrücklich gewollt. Der vormalige Finanzminister George Osborne stellte in Aussicht, dass China sich an weiteren AKWs finanziell beteiligen und in Essex gar eines in Eigenregie bauen könnte. May hingegen teilte die China-Euphorie ihrer Kollegen nie. Zudem steht auch ihr einflussreicher Stabschef Nick Timothy der Beziehung skeptisch gegenüber. Vergangenes Jahr verlieh er seiner Sorge Ausdruck, dass die Chinesen die Computer-Systeme so manipulieren könnten, dass sie in der Lage seien, Großbritanniens Energieproduktion herunterzufahren. Chinesische Atomkonzerne seien laut eigenen Angaben auch für die nationale Verteidigung zuständig.

Für May ist die Frage knifflig, die Regierung will nach dem Brexit-Votum signalisieren, dass das Land offen für Investitionen ist. Ein Hauptargument der EU-Gegner für den Austritt war, dass Großbritannien in florierende Handelsbeziehungen mit der ganzen Welt eintreten werde. May, die gegen den Austritt war, hat versprochen, den Brexit zum Erfolg zu machen. In ihrem Urlaub hat sie nach Botschafter Lius Warnung nun Zeit, die Risiken für die Wirtschaft und für die Sicherheit gegeneinander abzuwägen.

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