Großbritannien:Feindliche Heimat

Vor Jahren begann Theresa May als Innenministerin mit einer Politik der Schikanen gegen Einwanderer aus der Karibik. Nun stolpert ihre Nachfolgerin Amber Rudd über den Skandal - die Regierungschefin duckt sich weg.

Von Cathrin Kahlweit, London

People hold placards during a demonstration to protest againt the treament of members of the Windrush generation, opposite the Houses of Parliament in London

Briten demonstrieren vor dem Parlament in London gegen die aggressive Migrationspolitik Großbritanniens, deren Opfer die sogenannte Windrush-Generation wurde. Die Einwanderer aus der Karibik hatten sich fälschlicherweise darauf verlassen, dass sie als ehemalige Angehörige des Empire auch Briten seien.

(Foto: Simon Dawson/Reuters)

Bevor Sajid Javid am Montagnachmittag vor das Unterhaus trat, war das Parlament gähnend leer gewesen. Aber die Aussicht, den neuen Innenminister, Sohn eines pakistanischen Busfahrers, bei seiner Antrittsrede zu beobachten und zu hören, ob er die brutale Einwanderungspolitik von Theresa May verteidigen würde, trieb seine Kollegen in Scharen auf ihre Plätze. Nur eine fehlte: die bisherige Innenministerin, Amber Rudd. Sie war am Sonntag zurückgetreten - Stunden bevor sie eine Erklärung zum Skandal um die sogenannte Windrush-Generation abgeben sollte, was dann ihrem Nachfolger zu tun blieb. Der Skandal, der eigentlich ein Theresa-May-Skandal ist, hatte sie ihr Amt gekostet. Javid muss die Sache nun ausbaden und hinter May und Rudd aufräumen. Und er distanzierte sich deutlich von der Premierministerin.

Windrush - das Wort haben auch viele Briten in den vergangenen Wochen zum ersten Mal gehört. Die MV Empire Windrush war ein Schiff, mit dem 1948 die ersten von Tausenden Migranten aus der Karibik nach Großbritannien kamen. Sie sollten als Krankenschwestern, Bauarbeiter, Fabrikarbeiter das Land aufbauen helfen, das im Zweiten Weltkrieg stark gelitten hatte. Die Windrush-Generation, schwarze Migranten aus überwiegend armen Verhältnissen, ließ sich nieder, kaufte Häuser, zahlte Steuern, gründete Familien - in der historisch richtigen Annahme, dass sie als Subjekte der Krone aus der Ära des Empire auch britische Staatsbürger seien. Viele Bürger aus dem Commonwealth, die vor 1971 einwanderten, hatten keine Einreisepapiere und beantragten nie die Staatsbürgerschaft, hatten aber, quasi automatisch, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht.

Sie verloren ihre Wohnungen, ihre Jobs, kamen in Abschiebehaft oder wurden deportiert

Aber dann übernahm die konservative Regierung 2010 das Ruder. May, jetzt Premierministerin, wurde Innenministerin, sie schrieb sich die Senkung der Einwanderungszahlen auf die Fahnen. Und rief das "hostile environment" aus, eine feindliche Umgebung für Illegale. Vermieter, Arbeitgeber, Ärzte wurden aufgefordert, Papiere zu kontrollieren und den Immigrationsstatus von Mietern, Klienten oder Patienten zu checken. In der Folge wurde Einwanderern der Windrush-Generation und ihren Kindern, die legal im Land waren, die medizinische Behandlung verweigert, sie wurden aus ihren Wohnungen geworfen, verloren Jobs, kamen in Abschiebehaft - weil sie in den Augen der Behörden nicht nachweisen konnten, dass sie legal im Land sind. Einige wurden deportiert.

In Großbritannien gibt es keine Meldepflicht und keine Personalausweise; die Migranten legten Steuererklärungen und Schulabschlüsse, Belege von Arbeitgebern und Bezirksverwaltungen vor - es war nie genug. Viele der Betroffenen waren zu arm, um sich Anwälte zu nehmen oder zu schockiert von der Behandlung, die sie erfuhren, um Widerstand zu leisten. Offizielle Einbürgerungsanträge, im Lichte drohender Abschiebungen gestellt, wurden verweigert, die Kosten für das Prozedere konnten viele ohnehin nicht tragen. Amber Rudd, die das Amt von Theresa May 2016 übernahm, sollte später einräumen, offenbar habe das Innenministerium Ideologie über menschliche Schicksale gestellt.

Als die ersten Artikel über Opfer der Politik des "feindlichen Umfeldes" erschienen, negierte die Regierung, dass hier etwas schieflaufe. Erst der öffentliche Protest von Staats- und Regierungschefs aus der Karibik, die zum Commonwealth-Gipfel vor drei Wochen angereist waren, brach ein Loch in die Mauer aus Schweigen und Verweigerung, mit der Rudd - und May - auf die Vorwürfe reagierten. Dann ging es Schlag auf Schlag: Rudd musste einräumen, dass die Einwanderer aus der Karibik inhuman behandelt worden waren. Sie musste einräumen, dass die Regierung mehrfach, auch von den eigenen Beamten, gewarnt worden war, dass es die Falschen treffe - eben nicht illegale Migranten, sondern legale Einwanderer, die sich als Briten fühlten und Briten sind. Sie musste einräumen, dass sich ihr Ministerium Ziele für Abschiebungen gesetzt hatte: 12 000 für 2015 bis 2016 zum Beispiel, und dass diese Ziele mit Gewalt durchgesetzt wurden. Als sie dann aber feststellte, dass sie zu viele Warnungen, zu viel Kritik, zu viele berechtigte Hinweise schlicht ignoriert hatte, trat sie unter massivem öffentlichen Druck zurück. May wiederum versucht bis heute, ihre Verantwortung argumentativ zu verschleiern: Sie betont, es gehe nur darum, Illegale aus dem Land zu treiben, aber ja, die Windrush-Migranten seien legal da. In ihren Sätzen verschwimmen legal und illegal regelmäßig, und ihre Anhänger hören, was sie hören wollen: Die Premierministerin bleibt hart im Kampf gegen Einwanderer.

Sajid Javid setzte nun einen vorläufigen emotionalen Schlusspunkt. Er möge den Begriff "hostile environment" nicht, mit dem eine feindliche Umgebung für bestimmte Bevölkerungsgruppen im Land geschaffen werden sollte, sagte der neue Minister; dieser spiegele die Werte nicht, für die das Königreich in seinen Augen stehe. Javid betonte, auch seine Eltern, die in den 60er-Jahren eingewandert waren, seien Einwanderer aus dem Commonwealth, er sei pakistanischstämmiger Brite der zweiten Generation. Sie alle hätten ebenso Opfer einer Aktion werden können, wie sie nun die Windrush-Einwanderer traf. Er versprach die Prüfung aller Fälle, legale Hilfe und Kompensation.

Die aggressive Migrationspolitik, die ihren Niederschlag auch im Brexit-Referendum fand, ist damit aber nicht beendet. Opfer des Skandals zweifeln weiterhin daran, dass ihnen nun Gerechtigkeit widerfahren wird. Sie warnen auch, dass der Kurs, den May vor acht Jahren als Innenministerin eingeschlagen habe und als Premierministerin fortsetze, zu wachsendem Rassismus im Land führe. Nick Broderick, der mit drei Jahren aus Jamaika nach Großbritannien kam, nach 18 Jahren seinen Job verlor und abgeschoben werden sollte, sagte dem Guardian: "May ist verantwortlich. Warum tritt sie nicht zurück?"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: