Großbritannien:Die Uhr tickt

FILE PHOTO:Britain's Prime Minister Theresa May leaves 10 Downing Street in London

Versammelte ihre wichtigsten Minister im „EU Austritts-und Handels-Unterkomitee“, um Zustimmung für eine verbesserte Offerte an Brüssel zu erhalten: Premierministerin Theresa May.

(Foto: Toby Melville/Reuters)

London zögert mit einem neuen Brexit-Angebot an die Europäische Union. Derzeit verhandelt Premierministerin Theresa May mit ihren wichtigsten Ministern.

Von Cathrin Kahlweit, London

Eigentlich war erwartet worden, was man an der Nordsee "Butter bei die Fische" nennt: Die britische Regierung, hatte es geheißen, würde ihr Angebot von 20 Milliarden Pfund für den EU-Ausstieg endlich aufbessern; mindestens 40 Milliarden kursieren als neue Summe. Die Uhr tickt für die Verhandler nach dem Zwei-Wochen-Ultimatum von Michel Barnier, Brüssel wartet auf ein Zeichen, und dies sollte am Nachmittag kommen - nach einer Stipp-Visite der Premierministerin in Nordengland.

Aber zunächst blieb es bei Andeutungen mit der Begründung, man wolle die Karten nicht gleich auf den Tisch legen und konkrete Zahlen nennen, nur um von der EU zu hören, das sei immer noch nicht genug. Finanzminister Philip Hammond, der am Mittwoch den neuen Haushalt vorlegen muss und schwer unter Druck von den Brexiteers im Kabinett steht, hatte schon am Sonntag angedeutet, dass da etwas kommen werde, "eine ernsthafte Vorwärtsbewegung, ein Wendepunkt", aber man werde das wohl erst vor dem entscheidenden EU-Gipfel Mitte Dezember öffentlich machen.

Theresa May versammelte also am Montag ihre wichtigsten Minister in kleiner, intimer Runde, um über die weitere Strategie für die Verhandlungen zu reden, und hoffte auf Zustimmung der Hardliner im Kabinett zu einer verbesserten Offerte. Brexit-Fans wie Außenminister Boris Johnson und Umweltminister Michael Gove haben, berichtet die Times , ihre Zustimmung im Grundsatz auch angekündigt, was ein Fortschritt wäre für die Handlungsfähigkeit der Regierung. Allerdings gilt ihr Ja nur, falls Brüssel London bei den Gesprächen entgegenkommt und schon jetzt festlegt, was die Briten im Gegenzug dafür bekommen.

"Leaver" und "Remainer" hätten sich auf Grundlagen geeinigt: Geld gegen Konzessionen

Die neuen Zahlen, so diese denn hinter den Kulissen festgezurrt werden, sollen am Freitag EU-Kommissionspräsident Donald Tusk vorgelegt werden, der sie an die EU-Hauptstädte weiterreichen soll. Im Gegenzug, heißt es, müsse Brüssel endlich über das Freihandelsabkommen mit dem Königreich sprechen, das London so sehr braucht. Aber wie so oft war, zumindest bis zum Montagabend, wenig Konkretes und viel Forderndes aus der Runde zu hören. Man wolle nicht die Fehler machen, die May bei ihrer Florenz-Rede gemacht habe, hat ein enger Mitarbeiter der Premierministerin der Times gesagt; damals, in Italien, habe sie Zusagen gemacht, ohne dafür je den Stempel "ausreichende Fortschritte" aus Brüssel zu bekommen.

In Brüssel dürfte man die Sache ganz anders sehen und nach wie vor am Realitätssinn der Briten zweifeln: Auf welcher Basis hätte die EU von ausreichenden Fortschritten sprechen können, wenn doch das Angebot von May nie konkretisiert wurde? In die gleiche Sackgasse drohen nun wieder beide Parteien zu laufen. Nach einer Annäherung sieht das nicht aus. Die Kommentatoren in den britischen Medien sind sich gleichwohl sicher, dass mit dem Montagstreffen in Whitehall die Entscheidungen für die kommenden 18 Monate festgezurrt würden. Immerhin hätten sich "Leaver" und "Remainer" auf ein paar Grundlagen geeinigt: Geld gegen Konzessionen. Was in Großbritannien schon als Erfolg gewertet werden kann, war doch bisher die Tatsache umstritten, dass überhaupt gezahlt werden müsse. Die EU hatte eine Summe zwischen 60 und 100 Milliarden errechnet. Skeptiker sagen voraus, dass May zwar die 20 Milliarden mehr, die im Raum stehen, womöglich bei Johnson und Gove, aber nicht in Teilen der Fraktion und der Bevölkerung durchkriegt. Womit dann alles wieder auf Anfang wäre.

Unterdessen hat Michel Barnier in Brüssel etwas getan, wofür sonst eher der britische Außenminister Boris Johnson bekannt ist: Er hat eine rote Linie gezogen. Die EU werde ein Freihandelsabkommen mit London nicht akzeptieren, sollte die britische Regierung zu viele EU-Richtlinien ignorieren und Investoren mit Niedrigsteuern locken.

Die gute Nachricht: Barnier hat von dem Freihandelsabkommen überhaupt schon mal gesprochen.

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