Großbritannien:Die Stunde der Europa-Freunde

Die Verfechter eines weichen Brexit haben Permierministerin Theresa May im Parlament eine empfindliche Niederlage zugefügt. Das stärkt die Pragmatiker und ist gut für Großbritannien sowie für die ganze Europäische Union.

Von Björn Finke

Let's take back control, lasst uns die Kontrolle zurückgewinnen: Mit diesem Slogan warb die Brexit-Kampagne vor dem EU-Referendum für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Gesetze sollten wieder im Parlament in London gemacht werden, nicht in Brüssel oder Straßburg. Ironischerweise sträuben sich aber die siegreichen Brexit-Enthusiasten und die Regierung dagegen, eben diesem Parlament Mitsprache beim Austritt einzuräumen, dem folgenschwersten Vorhaben seit Jahrzehnten. Doch am Mittwochabend eroberte sich das Unterhaus ein Stück Kontrolle über den Brexit zurück. Premierministerin Theresa May dagegen erlitt die erste Niederlage im Parlament, seitdem sie im Amt ist.

Ein Dutzend Abgeordnete ihrer Konservativen Partei unterstützten die Opposition und erzwangen eine Garantie, dass das Unterhaus über die Ergebnisse der Brexit-Verhandlungen mit Brüssel abstimmen darf. Eine ganze Reihe anderer nationaler Parlamente und das EU-Parlament müssen diesen Austrittsvertrag billigen, damit er in Kraft tritt. Die britische Regierung hingegen wollte so ein Votum bloß versprechen, aber nicht per Gesetz festschreiben.

Wäre es nach May gegangen, hätten die Abgeordneten auch nicht über den Start des Austrittsprozesses abstimmen dürfen. Das oberste Gericht in London musste dies der unsicheren und furchtsamen May erst auftragen. Die Parlamentarier votierten dann im Februar mit überwältigender Mehrheit für den Brexit: viele nicht aus Überzeugung, sondern weil sie das Ergebnis des Referendums ernst nahmen.

Bei der Abstimmung über den Austrittsvertrag, den der EU-Vertreter Michel Barnier bis Oktober 2018 fertig verhandeln will, werden die Parlamentarier den Brexit ebenfalls nicht blockieren. Sie haben nur die Wahl, das Abkommen über die künftigen Beziehungen mit der EU zu akzeptieren oder abzulehnen. Eine Ablehnung würde den Austritt nicht stoppen und das Risiko einer chaotischen Trennung im März 2019 erhöhen. Das ist keine attraktive Perspektive für Brexit-Gegner im Parlament.

Mays Schlappe im Parlament hilft Anhängern eines weichen Brexit

Mays Schlappe im Unterhaus stärkt jedoch die Hand jener Politiker, die einerseits zwar das Resultat des EU-Referendums achten, andererseits aber für einen sanften Austritt kämpfen. Die Pläne der Premierministerin sind dieser Gruppe zu harsch. Mays Konservative Partei hat seit dem desolaten Wahlergebnis im Juni keine Mehrheit im Parlament und ist auf die Unterstützung der nordirischen Partei DUP angewiesen. Schon wenige Abweichler aus den eigenen Reihen reichen daher für eine Niederlage der Regierung aus. Bis Mittwoch ist das allerdings nicht passiert.

Der Erfolg bei dieser Abstimmung zeigt EU-freundlichen Konservativen nun, dass sie May tatsächlich zu Änderungen beim Austrittskurs zwingen können. Dafür müssen sie sich nur trauen, im Parlament die Brexit-skeptischen Oppositionsparteien zu unterstützen - so wie am Mittwoch geschehen. Kommende Woche könnte diese informelle Koalition der Pragmatiker und Europafreunde den nächsten Sieg gegen May und die Verfechter eines harten Brexit erringen. Dann entscheidet das Unterhaus darüber, ob Austrittsdatum und -uhrzeit - 29. März 2019, 23 Uhr - gesetzlich festgeschrieben werden. Die Premierministerin will das, aber Vertreter eines weicheren Kurses warnen, dass dies die Flexibilität unnötig einschränke.

Die Fraktion der Konservativen und das Kabinett sind gespalten zwischen Anhängern eines harten und eines sanften Brexit. May, die vor dem Referendum für den Verbleib in der EU geworben hat, schlägt sich bisher auf die Seite der Hardliner. Doch Niederlagen im Unterhaus werden sie dazu zwingen, stärker auf die Pragmatiker in ihrer Partei einzugehen. Das ist gut für Großbritannien und gut für Europa.

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