Großbritannien:Das Unglück des einen

Die Labour-Partei verzweifelt an ihrem Chef. Schon gibt es Überlegungen für die Zeit nach Ed Miliband. Als größter Hoffnungsträger gilt ein Mann, der erst 36 Jahre alt ist.

Von Christian Zaschke, London

Labour Leader Ed Miliband Speaks At Opposition Party's Annual Conference

Bei seinem Antritt galt Ed Miliband - hier beim Labour-Parteitag im September - als Denker mit klarem linkem Profil.

(Foto: Chris Ratcliffe/Bloomberg)

Dass Ed Miliband wirklich in Schwierigkeiten steckt, war am Montag vor allem daran zu sehen, dass verschiedene Parteigrößen durch die Radio- und Fernsehsender tourten, um zu verkünden, dass der Labour-Chef keineswegs in Schwierigkeiten stecke. Ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl ist Milibands Position innerhalb seiner Partei so schwach geworden, dass seine Verbündeten die Einheit Labours beschwören müssen und die Unruhe in den eigenen Reihen kleinzureden versuchen. Vorangegangen waren der Pro-Miliband-Offensive Berichte in mehreren Sonntagszeitungen, wonach bis zu 20 hochrangige Labour-Politiker die Ablösung des Parteichefs fordern, weil dieser die Chancen auf einen Wahlsieg im Mai kommenden Jahres deutlich schmälere.

Der 36-jährige Hoffnungsträger gilt noch als zu jung

Einer am Wochenende veröffentlichten Umfrage zufolge traut lediglich ein Drittel der Labour-Wähler Miliband die Aufgabe des Premierministers zu. Zwar liegt Labour derzeit in den meisten Umfragen noch knapp vor den Konservativen, doch zum einen schmilzt der Vorsprung kontinuierlich, zum anderen könnte er den Erhebungen zufolge weit größer sein, wenn die Partei einen anderen Chef hätte. Zum Beispiel Chuka Umunna.

Der 36 Jahre alte Schatten-Wirtschaftsminister ist der größte Hoffnungsträger der Partei, gilt aber intern noch als zu jung, um den Posten an der Spitze zu übernehmen. Umunna stellte sich am Montag in mehreren Interviews an die Seite Milibands und bestritt energisch, im Moment selbst Ambitionen auf höhere Aufgaben zu hegen. In einem seiner Interviews unterlief ihm ein Versprecher. Umunna sagte: "Es ist wichtig, dass wir Dave, ähem, Ed Miliband in die Downing Street bringen." In 10 Downing Street residiert derzeit der Konservative David Cameron als Premier.

Vor seiner Wahl galt Miliband als klug, eloquent und erfahren

Das Interessante an dem Versprecher ist, dass er sich auf zwei Arten lesen lässt. Entweder hat Umunna an Ed Milibands Bruder David gedacht, von dem viele glauben, er wäre als Parteichef die bessere Wahl gewesen. Mit der Frage, ob sie nicht David Miliband hätte wählen sollen, quält sich die Partei seit Jahren. Oder Umunna hat tatsächlich an David Cameron gedacht. Für seine persönliche Planung wäre es nämlich wohl tatsächlich besser, wenn Cameron erneut Premierminister würde. Umunna könnte in diesem Fall den Wahlverlierer Ed Miliband als Parteichef ablösen, ohne illoyal gewesen zu sein. Bei der nächsten Wahl im Jahr 2020 wäre er immer noch recht jung, aber nicht zu jung, um Premierminister zu werden. Gewänne Miliband die Wahl, würde Umunna zwar mit großer Sicherheit Minister, der Weg an die Spitze wäre ihm jedoch auf absehbare Zeit verbaut. So oder so: Der Versprecher wurde in Westminster mit Interesse registriert.

Als 2010 die Wahl zum Parteichef anstand, hieß der große Favorit David Miliband - ein kluger, eloquenter Mann, der als Außenminister unter Gordon Brown Erfahrung gesammelt hatte. Ed Miliband trat als Außenseiter gegen seinen Bruder an, er versprach den Delegierten, dass er zwar keiner dieser smarten, gut aussehenden Politiker sei, dafür aber ein mutiger Denker, der die Partei wieder weiter nach links rücken und in eine bessere Zukunft führen könne. Zudem hatte er die Unterstützung der Gewerkschaften. Ed Miliband besiegte seinen Bruder knapp, und noch heute erzählen Labour-Mitglieder, dass sich viele Delegierte unmittelbar nach der Wahl angeschaut und gesagt hätten: Was haben wir denn da gemacht?

Der frühere Innenminister Alan Johnson sah sich schon zum Putsch aufgefordert

Dennoch stand die Partei lange geschlossen hinter ihrem Chef. Seit Miliband jedoch im September in seiner letzten großen Parteitagsrede vor der Wahl vergessen hatte, das Haushaltsdefizit und die steigende Einwanderung zu erwähnen, wächst der Widerstand kontinuierlich. Miliband hatte die einstündige Rede frei gehalten, er wollte sich als Staatsmann präsentieren. Nachdem ihm jedoch die wichtigsten Aspekte seines Vortrags entfallen waren, hagelte es Spott von allen Seiten. Die Tories werden seither nicht müde zu betonen, dass man einem Mann, der das Haushaltsdefizit einfach vergisst, keinesfalls die Wirtschaft anvertrauen dürfe. Und in der Labour-Partei gibt es mittlerweile nicht wenige, die derselben Ansicht sind.

Dass Miliband vor der Wahl abgelöst werden könnte, gilt dennoch als äußerst unwahrscheinlich. Der einzige ernsthaft in Betracht kommende Ersatzkandidat, der frühere Innenminister Alan Johnson, hat erklärt, er stehe für einen Putsch nicht zur Verfügung. Miliband selbst hielt am Montagnachmittag eine Rede vor dem britischen Industriellenbund, in der er erläuterte, dass Großbritannien in der EU wirtschaftlich besser dastehe als bei einem Austritt aus der EU. Auf die Diskussion um seine Person ging er ein, aber nur betont gelassen am Rande. Ein Geschäftsmann habe ihm einst den Ratschlag gegeben, nicht alles zu glauben, was in der Zeitung steht. "Sie können sich vorstellen, dass ich in diesen Tagen öfter an diese Worte denke", sagte Miliband mit einem feinen Lächeln.

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