Großbritannien:Das Geschenk lässt auf sich warten

Zum 70. Geburtstag des National Health Service (NHS) will Premierministerin Theresa May Milliarden ins britische Gesundheitssystem stecken. Geld, das sie nach dem Brexit möglicherweise nicht mehr haben wird.

Von Cathrin Kahlweit, London

Die roten Busse mit der Aufschrift "Wir schicken der EU jede Woche 350 Millionen Pfund; lasst uns das Geld lieber in den Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) stecken" waren 2016 umstrittenes Symbol der Brexit-Kampagne. Für die Befürworter galten sie als Hinweis darauf, dass britisches Geld nicht bei Brüsseler Bürokraten landen dürfe; für Gegner des Austritts ist die Zahl der Beweis dafür, dass die Kampagne von Anfang an auf Lügen aufgebaut war: Die 350 Millionen seien eine aus der Luft gegriffene Zahl, und nach dem Brexit stehe weniger Geld für öffentliche Aufgaben zur Verfügung, sagen sie.

Nun, der Streit ist wieder da. Premierministerin Theresa May hat in einem BBC-Interview am Wochenende vorweggenommen, was am Montag Gesundheitsminister Jeremy Hunt noch einmal bestätigte: Zum 70. Geburtstag des NHS, der in wenigen Wochen ansteht, wolle die Regierung dem nationalen Gesundheitswesen ein Geschenk von etwa 25 Milliarden Pfund machen, zahlbar über fünf Jahre von April 2019 an, zu verteilen auf England, Schottland und Wales.

Das seien, so May stolz, sogar 394 Millionen Pfund pro Woche. Finanziert werden solle die Summe unter anderem: aus der zu erwartenden "Brexit-Dividende". Und außerdem aus steigenden Steuern oder neuen Schulden, aber das, betonte sie eilig, sei am Ende mutmaßlich der kleinere Teil. Die Brexiteers, die zuletzt ihre Felle wegschwimmen sahen in der öffentlichen Debatte, gaben sich begeistert: Das war sie, die lange versprochene Umwidmung von EU-Mitteln in NHS-Mittel. Außenminister Boris Johnson, der vor zwei Jahren besonders lautstark mit den 350 Millionen hausieren gegangen war, twitterte vor der Rede Mays, mit der die NHS-Milliarden am Montag präsentiert werden sollten, daher gleich mal triumphierend: "Fantastische Nachrichten für die Finanzierung des NHS - eine Anzahlung auf das Geld, das wir demnächst von der EU zurückbekommen."

Die Tories wollten ablenken vom Dauerstreit um den EU-Austritt. Jetzt stehen sie im Shitstorm

Nur: Wie genau die Finanzierung aussehen soll, ist noch gar nicht beschlossen. Hunt sagte am Montagmorgen im Radio, der Finanzminister werde erst konkrete Berechnungen vorlegen, wenn wiederum die NHS-Spitze einen Zehn-Jahres-Plan vorgelegt habe. Im Übrigen sei die Regierung der Ansicht, dass nationale Experten mit ihren Voraussagen falsch lägen, dass der Brexit der britischen Wirtschaft schaden werde. Und selbst wenn: May habe die Geldspritze versprochen - unabhängig davon, wie sie zum Schluss finanziert werde.

Jetzt sehen sich die Tories einem Shitstorm ausgesetzt. Dabei hatte sich die Regierung das alles ganz anders vorgestellt; ablenken hatte man wollen vom Dauerstreit um die Brexit-Verhandlungen, eine gute Nachricht hatte May den unzufriedenen Wählern überbringen wollen. Aber abgesehen davon, dass die Konservativen in ihrem Wahlprogramm versprochen hatten, Steuern zu senken und nicht zu erhöhen, sehen sich May und Hunt nun mit einer Reihe kritischer Fragen konfrontiert: Wer kann eigentlich wissen, ob es eine Brexit-Dividende geben wird? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass die Wirtschaftsdaten nach dem Austritt schlechter werden? Und wer stellt sicher, dass Geld für den NHS übrig ist, wenn die Regierung erst einmal 40 Milliarden Pfund als "Exit-Rechnung" an Brüssel überwiesen hat? Sie wird schließlich in Zukunft die Förderung von Landwirtschaft, Fischerei und vielem anderen, was bisher die EU subventioniert hat, selbst übernehmen müssen.

Außerdem ist die Zusatzförderung für das chronisch klamme und überforderte Gesundheitswesen im Vergleich der letzten Jahrzehnte und früherer Versprechen gar nicht besonders hoch. Die 20,5 Milliarden für England etwa entsprechen einer Budgeterhöhung von unter vier Prozent - jenem Prozentsatz, den Experten für geboten halten, um auch nur einige Zukunftsinvestitionen in Angriff zu nehmen. Die Labour-Party hat versichert, sie werde stärker erhöhen, wenn sie demnächst an der Regierung sei.

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