Großbritannien:Briten wollen Freunde bleiben

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Werben für einen weichen Übergang: Premierministerin Theresa May in Florenz. (Foto: AP)
  • In Florenz hat die britische Premierministerin Theresa May eine zweite Grundsatzrede zum Brexit gehalten.
  • Darin fordert sie eine zweijährige Übergangsphase für ihr Land nach dem Ausstieg aus der Europäischen Union.
  • Was die Frage der Rechte von EU-Bürgern angeht, sollen britische Gerichte auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zurückgreifen dürfen.
  • Ob das die Verhandlungen mit Brüssel erleichtert, bleibt abzuwarten.

Von Cathrin Kahlweit, Florenz

Zum Schluss ist es ein eher sachlicher Raum in der ehemaligen Polizeiakademie von Florenz, in der Theresa May strammen Schrittes ans Podium marschiert. Das Gebäude gehört zwar zum Areal der Kirche Santa Maria Novella, aber von deren Pracht ist am Freitagnachmittag wenig zu sehen und zu spüren. May lächelt einmal pflichtschuldig, dann legt sie ohne jede Anrede los. Sie spricht ohnehin nicht für die Menschen im Saal oder in der ersten Reihe, wo ihr Kabinett sitzt, sondern für Brüssel und die europäischen Hauptstädte.

Ihr Ton ist weich, ihre Ansage ebenso: Wir sind Partner, wir teilen dieselben Werte, London hat ein Interesse an einer starken EU. Wir bleiben Freunde und regeln den Brexit als Freunde. Fast, so scheint es, hätte sie "bitte" gesagt. 35 Minuten spricht die Premierministerin über die Zukunft Großbritanniens in Europa, beantwortet ein paar Fragen sehr vage, dann ist sie weg. So wort- und gestenlos, wie sie gekommen war.

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London ist daran interessiert, dass EU-Bürger eine hohe Rechtssicherheit haben

London, so viel weiß man in Brüssel jetzt, setzt auf eine Übergangsperiode, die auf maximal zwei Jahre begrenzt sein soll; in dieser Zeit sollen unterschiedliche Branchen der Wirtschaft ihren Brexit je nach Wunsch schneller oder langsamer vollziehen dürfen. Großbritannien ist bereit, bis zum Austritt seine finanziellen Verpflichtungen so zu erfüllen, dass für andere Mitgliedstaaten der EU keine Mehrkosten entstehen, danach steht eine Summe von etwa 20 Milliarden Euro im Raum.

Was das schwierige Thema der Rechte von EU-Bürgern angeht, so sollen britische Gerichte nach dem Brexit auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zurückgreifen dürfen, was die Rechtssicherheit erhöhen würde. Ob all das die Verhandlungen erleichtert, die am Montag in ihre vierte Runde gehen sollen, bleibt abzuwarten; Brüssel hat mitgeteilt, es erwarte Substanzielles. Um diesen Druck zu mindern, will May offenbar auf einzelne europäische Staatschefs zu- und Brüssel in Teilen umgehen.

EU-Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier sah jedenfalls "konstruktiven Geist" und "Willen voranzukommen" in Mays Rede. Nun müsse das in eine "präzise Verhandlungsposition" übertragen werden.

Für erste Brexit-Rede erntete May internationale Kritik

Als sie am Freitag in die italienische Handelsstadt einflog, um ihre zweite "große" Brexit-Rede zu halten, wussten britischen Zeitungen schon, dass May um ihr Leben würde reden müssen: Sieg oder Katastrophe, drohte der Telegraph. Nun: Sie hat diesmal ziemlich viel richtig gemacht. Vor etwas mehr als einem halben Jahr hatte May zum ersten Mal ihre Vorstellung vom Brexit einem großen Publikum dargelegt und mit Härte zu punkten gesucht - die Reaktion auf dem Kontinent war verheerend.

Damals sprach sie im Lancaster House in London. Der Ort war programmatisch: Just dort, wo Margaret Thatcher ihre Kampagne für einen Beitritt zum Binnenmarkt startete, drohte May der EU in entschiedenem, fast arrogantem Ton mit einem harten Schnitt, erteilte jeder Assoziierung eine Absage und sagte ihrem Land jenseits der EU eine große Zukunft voraus. Diese Lancaster-House-Rede musste sie nun am Freitag zurücknehmen, musste, wie die Briten sagen, "ihre eigenen Worte essen". Zu stark war das Lager der Realisten in London geworden, zu stark der Druck der Wirtschaft, die sich kurz vor der Rede in Florenz mit Macht zu Wort meldete: Vertreter von Industrie und Finanzwelt drohten mit Abwanderung, wenn sich May nicht zu einer Übergangsperiode bekenne.

Die Regierungschefin entschied sich also für Vorwärtsverteidigung, weil bei den Verhandlungen in Brüssel nichts vorangeht, die EU London dafür verantwortlich macht und May die Handlungshoheit zu entgleiten droht. Die Rede, die endlich ein "großzügiges Angebot" an Brüssel enthalten sollte, wurde nach Florenz verlegt, weil in Deutschland gewählt, in Frankreich gestreikt und in den Niederlanden seit Monaten um eine Regierung gefeilscht wird. Die Italiener sind hingegen dafür bekannt, spontan und lässig zu sein.

Europäische Politiker von Rang haben abgesagt, Touristen aber fanden das Bohei spannend

Sie bekamen es denn auch hin, May kurzfristig einen historisch bedeutsamen Ort für ihren Auftritt zu offerieren, der seltsam anmutet: Santa Maria Novella ist schließlich eine Kirche samt Kloster. Erbaut im 14. Jahrhundert, gefüllt mit großen Kunstwerken großer Künstler wie Lippi und Vasari, drumherum ein Kloster samt Garten, dahinter die ehemalige Polizeiakademie, dahinter - der Bahnhof. Vorn Sakrales, dazwischen hohe Mauern, hinten Baustellen, Bagger, Lärm, Touristen. Kein Ort, an dem in Florenz sonst banale Politik verhandelt wird, wie die verwunderte Dorothee Bohle vom European University Institute in Florenz weiß.

Zudem seien EU-Begeisterung und EU-Mitgliedschaft, anders als in Italien, nie "zentrales Projekt britischer Eliten" gewesen, so die Politologin. Die Souveränität sei den Briten stets wichtiger gewesen als Europas Einheit. Florenz, Symbol für florierenden europäischen Handel, der Komplex von Santa Maria Novella als Metapher für Europas Kunst und Geist - das alles passte daher wenig zu einer Rede, die an die Verantwortung Europas für Großbritannien erinnerte, aber auch, kleinmütiger als zuletzt, britische Kompromisse für Europa anbot.

Europäische Politiker hatten ihr Kommen abgesagt

No 10 Downing Street hatte bis zuletzt ein großes Geheimnis um die ganze Sache gemacht; erst nach Mays Abreise durfte der genaue Veranstaltungsort bekannt gegeben werden, erste Bruchstücke der Rede ("die Augen der Welt sind auf uns gerichtet, am Ende soll nicht der Eindruck von Trennendem, sondern von Verbindendem stehen; die gemeinsame Verantwortung, den Brexit auch für die nächste Generation zu einem Erfolg zu machen") wurden erst Donnerstagnacht verschickt.

Am Tag zuvor wurden erstaunte Journalisten, die sich gar nicht um Begleitung Mays nach Italien beworben hatten, informiert, sie seien für Florenz akkreditiert, was ein wenig an die Gewinnmitteilung einer Lotterie erinnerte, bei der man gar nicht mitgespielt hatte. Offenbar sorgte man sich im Regierungsviertel, May müsse ihre hoffentlich historische Rede vor leeren Bänken halten; europäische Politiker von Rang hatten abgesagt. Immerhin: Touristen fanden das Bohei sehr spannend.

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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