Großbritannien:Alles neu, alles anders

Großbritanniens Premierministerin Theresa May hält schon zu Beginn einige Überraschungen bereit - vor allem die Ernennung Boris Johnsons zum Außenminister ist ein interessanter Schachzug.

Von Christian Zaschke, London

Sie werde vor allem Frauen auf wichtige Posten in ihrem Kabinett befördern, hatte die neue britische Premierministerin Theresa May gesagt, und doch wurde am Donnerstag in Westminster vor allem über Männer gesprochen. Das lag daran, dass May überraschend Boris Johnson zum Außenminister ernannt hatte. Der ehemalige Londoner Bürgermeister ist bislang eher nicht als Diplomat aufgefallen. Als die Nachricht aus 10 Downing Street drang, dass Johnson einen der wichtigsten Posten in der neuen Regierung übernimmt, dürfte Michael Gove geahnt haben, dass seine eigene Karriere nicht mehr auf der großen Bühne stattfindet.

Gove hatte gemeinsam mit Johnson für den Austritt aus der EU geworben und ihm zugesichert, ihn im Erfolgsfall bei seiner Bewerbung um den Parteivorsitz zu unterstützen. In letzter Minute hatte er sich überlegt, selbst anzutreten und damit Johnsons Hoffnungen zunichte gemacht. Die konservative Fraktion mochte Gove für sein Manöver aber nicht mit dem Vorsitz belohnen, und seit diesem Donnerstag ist klar, dass er auch sein Amt als Justizminister verloren hat: May hat ihn entlassen.

"Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben" sagt der neue, alte Gesundheitsminister

Es wäre kaum vorstellbar gewesen, dass Gove und Johnson gemeinsam am Kabinettstisch sitzen. Johnson hat es seinem einstigen Weggefährten übel genommen, dass dieser so kurzfristig von der Fahne ging. In Johnsons Lager wird Gove in nicht zitierbaren Worten beschrieben. Da aber in diesen turbulenten Zeiten jeder Tag eine überraschende Wende bringt, ist es plötzlich Johnson, der wieder obenauf ist, während Gove sein Dasein als Hinterbänkler fristen muss. Noch vor zwei Wochen sprach er davon, was er dem Land als Premierminister zu geben beabsichtige.

Großbritannien: Zurück im Rampenlicht: Großbritanniens neuer Außenminister Boris Johnson.

Zurück im Rampenlicht: Großbritanniens neuer Außenminister Boris Johnson.

(Foto: Lauren Hurley/AP)

Die Ernennung Johnsons ist ein interessanter Schachzug. Zum einen hat May damit den prominentesten Befürworter des Brexit an vorderster Front in die Regierungsarbeit eingebunden, was besonders die europaskeptischen Hinterbänkler freuen dürfte. Zum anderen könnte ihr Kalkül sein, dass Johnson als Minister einfacher zu kontrollieren ist. Indem May dem Populisten Johnson einen derart wichtigen Posten anvertraut, zwingt sie ihn zudem, Verantwortung für seine Rolle im Brexit-Wahlkampf zu übernehmen. Johnson wird sich künftig um eine vorsichtigere Ausdrucksweise bemühen müssen.

Die Liste von Menschen, die er beleidigt hat, ist lang. Es wird erwartet, dass er sich in seiner neuen Funktion beim amerikanischen Präsidenten Barack Obama entschuldigt, über den er im Referendums-Wahlkampf sagte, dieser hege wegen seiner "kenianischen Abstammung" einen historischen Groll gegen das britische Empire. Dessen mögliche Nachfolgerin Hillary Clinton verglich er einmal mit "einer sadistischen Krankenschwester in einer psychiatrischen Klinik".

Als Außenminister wird Johnson wider seine Natur versuchen müssen, ein Mann des Maßes zu sein. Am Donnerstagnachmittag trat er erstmals vor seinem neuen Ministerium auf, und es war zu sehen, dass er die Metamorphose versuchen will. Er sprach fast staatsmännisch über die Rolle Großbritanniens in der Welt, und er schaffte es tatsächlich, nicht einen einzigen Witz zu reißen. Als er von einem Reporter als "Außenminister Johnson" angesprochen wurde, leuchtete sein Gesicht auf. Es wirkte, als sei ihm gerade erst bewusst geworden, dass er eines der erstaunlichsten Comebacks in der britischen Politik hingelegt hat. Vor nicht einmal zwei Wochen war Johnson erledigt. Wie glücklich er nun über die neue Entwicklung ist, zeigt sich auch daran, dass er offenbar Mays Forderung zustimmte, seine wöchentliche Kolumne im Daily Telegraph aufzugeben. Diese brachte ihm 250 000 Pfund im Jahr ein. Ein weiterer glücklicher Mann in Westminster war am Donnerstag Gesundheitsminister Jeremy Hunt. Er werde entlassen, hieß es zunächst, und das schien nur logisch zu sein, da Hunt seit Monaten im Streit mit der Ärzteschaft liegt. Dann aber verkündete Mays Büro, Hunt bleibe doch im Amt, was dieser in Anlehnung an den Schriftsteller Mark Twain mit den Worten kommentierte: "Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben." Hunt ist allerdings einer der wenigen Minister, die ihren Posten behalten haben. Es war erwartet worden, dass May Umbauten vornimmt, aber das diese so umfassend ausfielen, war außergewöhnlich. Ein Veteran unter den Berichterstattern erzählte, er habe so etwas seit der "Nacht der langen Messer" im Jahr 1962 nicht mehr erlebt, als der damalige Premierminister Harold Macmillan sieben Kabinettsmitglieder entließ. May hat nun sogar acht Minister aus dem Kabinett geworfen. Sie hat Gefährten belohnt, sie hat Frauen befördert, und sie hat versucht, eine Balance zwischen EU-Gegnern und EU-Freunden zu finden. Vor allen Dingen aber hat sie gezeigt, wer jetzt in 10 Downing Street das Sagen hat. Ihr prominentestes Opfer ist der vormalige Finanzminister George Osborne. Dieser hatte sich geduldig eine Machtbasis in Westminster aufgebaut, weil er sich seit Jahren darauf vorbereitete, eines Tages selbst Premier zu werden. Das war der ebenfalls machtbewussten May zu gefährlich, sie verbannte ihn auf die hinteren Bänke. Dort kann Osborne sich mit Michael Gove darüber austauschen, wie es ist, wenn seit langem gehegte Hoffnungen binnen Stunden zunichte gemacht werden.

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