Großbritannein:Signale der Chefin

Die neue Premierministerin Theresa May will mit dem Brexit offenbar wenig zu tun haben. Sie baut ein Bollwerk aus Ministern zwischen sich und dem unliebsamen Thema auf. Das wird nur bedingt funktionieren können. Am Ende trägt sie die Verantwortung.

Von Christian Zaschke

Die neue britische Premierministerin Theresa May hat mit der Zusammenstellung ihrer Regierung zwei Signale gesandt. Erstens: Sie ist die unumstrittene Chefin. Seit mehr als 50 Jahren hat kein britischer Regierungschef einen derart radikalen und schonungslosen Umbau des Kabinetts vorgenommen wie May. Nun dürfte auch dem letzten Konservativen klar sein, dass sie ihre Linie kompromisslos durchziehen will. Erbhöfe gibt es nicht mehr. Zweitens: Mit dem leidigen Thema Brexit will die Premierministerin erst einmal nichts zu tun haben.

Das ist insofern ein interessanter Ansatz, als der Austritt aus der EU nach allgemeiner Ansicht das beherrschende Thema ihrer Amtszeit wird. Was May getan hat, ist mit außenpolitischen Risiken verbunden, aber zumindest innenpolitisch geschickt: Sie hat sämtliche Ministerien, die unmittelbar mit dem Brexit zu tun haben, mit Befürwortern des Austritts besetzt. Zum einen hält das den notorisch unruhigen rechten Flügel der Partei vorerst bei Laune, zum anderen sichert May sich damit ab.

Die Befürworter des Austritts, die sich als Brexiteers stilisieren, dürften nur allzu gut wissen, dass ihre Kampagne zu einem guten Teil auf falschen Versprechen, Halbwahrheiten und Lügen beruhte. Das hat ihnen das gewünschte Ergebnis gebracht, führt nun aber zu dem nicht unbeträchtlichen Problem, dass die Wähler die Erfüllung der Versprechen verlangen. May hat ganz offenkundig gesehen, dass dort ein großes Problem für sie schlummern könnte. "Brexit heißt Brexit", hat sie gesagt, aber in Wahrheit weiß im Moment kein Mensch, was Brexit wirklich bedeutet.

Um einen guten Deal mit der EU zu erreichen, wäre es sicherlich das Klügste gewesen, erfahrene, moderate Verhandler einzusetzen, die sich auskennen mit dem langwierigen quid pro quo in Brüssel. Das aber hätte sich nach innen nicht gut verkauft. Zudem hätte sich mit größter Sicherheit unter den Hardlinern in Windeseile die Theorie verbreitet, das Volk solle mit Zugeständnissen und Kompromissen um den Brexit betrogen werden. Befeuert worden wäre diese These von der Tatsache, dass May sich ursprünglich für den Verbleib in der EU ausgesprochen hatte.

Premierministerin Theresa May will mit dem Brexit zunächst wenig zu tun haben. Am Ende aber trägt sie die Verantwortung für die Zukunft des Landes

Das Ergebnis der Verhandlungen wird in keinem Fall an die Versprechen heranreichen, mit denen die Brexiteers die Wähler umgarnt haben. Die unter anderem vom neuen Brexit-Minister David Davis geäußerte Vorstellung, man könne Teil des Binnenmarktes bleiben und trotzdem den Zuzug von EU-Bürgern beschränken, ist mindestens befremdlich. Die Freizügigkeit gehört zu den Grundfesten der EU. Es handelt sich nicht um eine lose Vereinbarung, die man wegverhandeln kann. Wer am Binnenmarkt teilnehmen will, muss die Grundprinzipien der EU anerkennen, da ist kein Raum für Kompromisse.

Boris Johnson, David Davis und Liam Fox haben den Briten ein Land versprochen, in dem Milch und Honig fließen. May hat sie zum Außenminister, zum Brexit-Minister und zum Minister für internationalen Handel gemacht. Was sie damit sagt, ist: Ihr habt den Brexit gewollt, jetzt seht zu, dass ihr den Brexit regelt.

Normalerweise wäre das Thema Chefsache. Den Austritt aus der EU zu verhandeln ist die wohl wichtigste politische Aufgabe in der britischen Nachkriegsgeschichte. May sieht jedoch, dass das Ergebnis in jedem Fall unbefriedigend sein wird. Daher geht sie das Risiko ein, dass der Hardliner Davis vielleicht nicht den optimalen Deal herausholt, dafür aber auch in der Verantwortung steht. Sollten die Brexiteers sich beklagen, dass man sich das alles ganz anders vorgestellt habe, kann May immer sagen: Es waren eure Leute, die das ausgehandelt haben.

Ob diese Strategie aufgeht, ist schwer zu sagen. In letzter Konsequenz ist die Premierministerin für das Handeln der Regierung verantwortlich, und wenn die Gespräche mit der EU über einen geordneten Austritt scheitern, ist auch May gescheitert. Womöglich hat sie sich lediglich etwas Luft zum Atmen verschafft, um sich zunächst der inneren Probleme eines Landes anzunehmen, das sich in den vergangenen Wochen als gespalten erwiesen hat. Dennoch zeigt ihr Vorgehen, dass die Haltung der konservativen Regierungsspitze zur EU weiter von parteitaktischen und innenpolitischen Überlegungen geprägt ist.

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