Griechischer Ministerpräsident in Berlin:Merkel pragmatisch, Tsipras bemüht

Beide lächeln, beide geben sich betont locker. Aber bei ihrer ersten Begegnung in Berlin wird doch deutlich, wie viel die deutsche Bundeskanzlerin und den griechischen Premierminister noch trennt.

Von Nico Fried, Berlin

Es ist ja schon der erste Satz, bei dem man sich nicht ganz sicher sein kann. "Ich freue mich", sagt Angela Merkel, "dass heute der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras zu seinem Antrittsbesuch nach Berlin gekommen ist." Freut sie sich wirklich? Die Kanzlerin, daran kann es keinen Zweifel geben, hätte es lieber gesehen, wenn die bisherige Regierung in Athen bei den Wahlen vor einigen Wochen bestätigt worden wäre. Andererseits gehört der Pragmatismus zu Merkels innerer Ausstattung wie die bunten Jacken zu ihrem äußeren Erscheinungsbild. Deshalb nimmt sie es eben, wie es kommt - beziehungsweise sie nimmt den, der kommt.

Da steht er nun also, der vermutlich berühmteste offene Hemdkragen der nördlichen Hemisphäre. Kurz vor seiner Ankunft hat er sich noch eine kleine protokollarische Unbotmäßigkeit erlaubt: Vor der Einfahrt ins Kanzleramt ließ Tsipras seine Wagenkolonne stoppen, stieg aus, ging gut 50 Meter zu einigen vorwiegend linken Demonstranten, drückte einige Hände, und zum Dank riefen mehrere Hundert Sympathisanten: "Hoch die internationale Solidarität!" Erst danach nahm Tsipras mit Merkel die militärischen Ehren ab.

Gute Beziehungen und viele deutsche Urlauber

Als die beiden eineinhalb Stunden später zur Pressekonferenz erscheinen, geben sie sich zunächst betont locker. Beide lächeln. Merkel sagt in der ihr eigenen Liebe zu Sätzen mit vielen Substantiven, man habe über "die Aufgaben und Notwendigkeiten zur Erfüllung des Übereinkommens" gesprochen, also des Übereinkommens innerhalb der Euro-Gruppe, unter welchen Bedingungen Griechenland weiter geholfen werden soll.

Tsipras-Besuch in Berlin

Ein roter Teppich für den Premier: Alexis Tsipras mit Angela Merkel bei seinem Antrittsbesuch im Berliner Kanzleramt.

(Foto: John MacDougall/AFP)

Ansonsten sagt Merkel das, was sie immer sagt, wenn griechische Ministerpräsidenten kommen, nämlich dass es enge und freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Ländern gebe und dass viele Griechen hier lebten. Auch die deutschen Urlauber vergisst sie nie zu erwähnen, die jedes Jahr zu Tausenden nach Griechenland reisten.

Ein Ende der Krise ist nicht absehbar

Diese Urlauber hat sie schon am 5. März 2010 erwähnt, als der damalige Ministerpräsident Giorgos Papandreou nach Berlin kam, aber auch die vielen Urlauber konnten leider nicht verhindern, dass damals nur zwei Monate später ein erstes Rettungspaket für Griechenland nötig wurde. Es blieb nicht das letzte. Die Probleme Griechenlands sind seit nunmehr fünf Jahren der Kern der Euro-Krise. Ein Ende ist nicht absehbar. Und das deutsch-griechische Verhältnis hat darunter gelitten.

Tsipras kommt gleich auf diese Probleme zu sprechen. Am Telefon, so berichtet er, habe die Kanzlerin ihm vergangene Woche gesagt, es sei doch besser, miteinander zu reden als weiter übereinander. Deshalb sei er nun hier in Berlin. Einen anderen Weg als den des Dialogs gebe es nicht. "Besonders wichtig" sei das Treffen mit Merkel, "denn wir müssen uns besser verstehen". Ganz so toll hört sich das mit der Freundschaft bei ihm nicht an.

Dann blickt er zurück. Die fünf Jahre der Hilfsprogramme hätten zu "fiskalischen Anpassungen" geführt, sagt Tsipras und meint damit die massiven Sparmaßnahmen. Für Griechenland sei das jedoch "keine Erfolgsgeschichte" gewesen. Das Bruttoinlandsprodukt sei um ein Viertel gesunken, die sozialen Verwerfungen seien erheblich. Andererseits, so Tsipras, sei es zu einfach zu sagen, "nur die Ausländer" trügen dafür die Verantwortung. Es gebe "auch Ursachen in Griechenland", fügt der Ministerpräsident hinzu, "und die fünf Jahre haben nicht gereicht, diese Probleme zu lösen". Nun wolle man gemeinsam einen neuen Mix an Maßnahmen erarbeiten. Dazu sei es auch wichtig, die Stereotypen zwischen beiden Ländern zu überwinden: Die Griechen seien keine Faulenzer - und die Deutschen seien nicht schuld an den Missständen in Griechenland.

Konzentriert lauscht Merkel der Übersetzung

Schon hier fällt auf, wie aufmerksam die Kanzlerin, die bei anderen Gästen durchaus auch mal den Blick ein wenig gelangweilt in die Ferne oder zu den Journalisten schweifen lässt, der Übersetzung lauscht. Fast die ganze Zeit schaut sie Tsipras an, so als sei sie sich noch nicht sicher, was sie von ihm zu halten hat. Er selbst sagt später, Merkel höre gut zu und wolle "konstruktiv vorankommen".

Tsipras ist der dritte Ministerpräsident, der es in der Euro-Krise mit Merkel zu tun bekommt. Papandreou, der Sozialist, und die Kanzlerin kamen ordentlich miteinander aus, so wie sich Merkel häufig mit Sozialdemokraten gut versteht. Dann aber kündigte Papandreou im November 2011 an, die für Griechenland relevanten Ergebnisse eines EU-Gipfels dem Volk zur Abstimmung vorzulegen: Dazu gehörte neben Sparmaßnahmen immerhin auch ein teilweiser Schuldenschnitt. Zur Abstimmung kam es auf Druck Deutschlands und Frankreichs nicht. Neun Tage später trat Papandreou zurück.

Papandreou, Samaras - nun also Tsipras

Sein Nachfolger Antonis Samaras, ein Konservativer, war bei seinem Amtsantritt in Berlin schlecht gelitten. Im kleinen Kreis schimpfte Merkel darüber, dass Samaras' allein auf Machtgewinn ausgerichtete Blockadepolitik die Reformvorschläge der Vorgängerregierung immer wieder zunichte gemacht habe. Später allerdings, als der neue Ministerpräsident - gemeinsam mit den Sozialisten als Koalitionspartner - den Reformkurs entschlossen anging, änderte sich Merkels Einstellung.

Nun also Tsipras. Der Grieche sagt, man suche jetzt erst einmal einen gemeinsamen Grund, eine Basis. Und Merkel betont, ihr sei daran gelegen, "dass wir zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit finden". Gleichwohl ist es ihr offenkundig gerade gegenüber den griechischen Medien wichtig, ihre eigene Rolle ein wenig einzuordnen - man könnte auch sagen: herunterzuspielen. Nicht sie habe über die griechischen Reformen zu befinden, sondern die Euro-Gruppe. Und in dieser Gruppe sei Deutschland nur eines von 19 Mitgliedsländern, sagt sie in der Pressekonferenz. An dieser Stelle bemüht sich Tsipras zum ersten Mal, die Sache ein wenig aufzulockern: Als er von einer griechischen Journalistin gefragt wird, wie es nun um die Liquidität der Regierung stehe, antwortet er: "Sie können natürlich nicht erwarten, dass ich nach Deutschland komme, um die Kanzlerin zu bitten, dass sie die griechischen Renten und Gehälter zahlt." Er selbst lacht über diesen kleinen Scherz. Merkel aber schaut eher verkniffen.

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