Griechenlands langer Kampf gegen Korruption:Zahltage in Athen

Griechenlands Regierung hat beim Euro-Gipfel eingewilligt, künftig verstärkte Kontrollen der Troika zu unterstützen. Die Inspektoren sollen rund um die Uhr prüfen, ob das Land die angekündigten Reformen und Sparpläne umsetzt. Wie steinig der Weg zu einem effektiven Staat ist, zeigt das Beispiel von Andreas Georgiou: Der Chef des Statistikamts kämpft für EU-Standards und Transparenz, doch viele Feinde sitzen in der eigenen Behörde.

Christiane Schlötzer, Athen

Das Gebäude wirkt wie eine neuzeitliche Trutzburg. Im Aufzug läuft melancholische Musik, der Sicherheitsbeamte putzt sich die Schuhe ab, bevor er im siebten Stock den Flur betritt. Der führt zum Präsidenten der Statistikbehörde. Andreas Georgiou kann das Meer von seinem Fenster aus sehen, auch wenn es ein paar Kilometer entfernt ist. An der Küste aber war er in den vergangenen 15 Monaten kein einziges Mal. "Ein fernes Paradies", nennt Georgiou das Meer. Die außerordentliche Arbeitsbelastung des 50-Jährigen hat mit einem Phänomen zu tun, das die Welt inzwischen als "Greek Statistics" kennt. Der Begriff hat sich eingebürgert für die Rechenkünste der Statistiker, die über Jahre das Defizit des Staates schön- und seine Schulden kleinrechneten - bis die Blase platzte.

Andreas Georgiou

Er steht vor einer Herkulesaufgabe: Andreas Georgiou ist seit Sommer 2010 der Leiter der griechischen Statistikbehörde.

(Foto: AP)

Andreas Georgiou hat 31 Jahre außerhalb Griechenlands gelebt, bis er am 2. August 2010 seinen Job antrat. Er weiß das Datum so genau, weil gleich am nächsten Tag etwas begann, was sich der gerade Zurückgekehrte nie vorstellen hätte können. Seine Mails wurden gehackt. Nicht von draußen, sondern aus der eigenen Behörde. "Da war einer öfter in meinen Mails als ich", sagt Georgiou. Derjenige tat das dann auch noch von zu Hause aus. Das hat jedenfalls eine Spezialeinheit der Polizei später festgestellt. "Die hat sehr gute Arbeit geleistet." Der Hacker war demnach Georgious damaliger Stellvertreter.

Nach seinem Amtsantritt hatte Georgiou die Defizitberechnung "nach Anwendung aller Regeln der EU" nach oben korrigieren müssen. Das machte Schlagzeilen. Was zunächst nicht bekannt wurde: Aus seinem Amt wurde ihm daraufhin vorgeworfen, er habe das Defizit "künstlich nach oben" geschraubt, damit die Regierung die harten Sparpläne begründen und durchsetzen könne. Die Vorwürfe kamen aus dem siebenköpfigen Leitungskomitee der Behörde. "Das war für mich schockierend", sagt Georgiou. Und er sagt noch etwas: Das Führungsgremium der seit Juli 2010 per Gesetz unabhängigen Statistikbehörde wollte "praktisch über statistische Methoden und damit über das Defizit in pseudodemokratischer Weise abstimmen".

Auch das war noch nicht alles. Georgiou wurde von einem Staatsanwalt vernommen. Athener Anwälte wollen ihn wegen Landesverrats anklagen lassen. Ihr Vorwurf: Georgiou habe das Defizit manipuliert, um die Privatisierung von Staatseigentum zu begründen. Vor dem Staatsanwalt musste Georgiou mit Papieren aus den Jahren 2007 bis 2010 erscheinen, für die er gar nicht zuständig war.

Bisher wurde niemand für Schlampereien belangt

Und was passierte mit denen, die für die "Greek Statistics" verantwortlich waren? "Niemand wurde belangt", sagt Georgiou. Dafür musste er auch noch vor einem Ausschuss des Parlaments aussagen. Dort präsentierten die Widersacher aus der Behörde gar Teile seiner Korrespondenz mit Beamten der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF), als habe Georgiou damit Verrat begangen.

Inzwischen hat Finanzminister Evangelos Venizelos sechs Mitglieder des Leitungskomitees entlassen - obwohl Elstat, so das Namenskürzel der Behörde, nicht mehr wie früher dem Ministerium unterstellt ist. Mitte September erst kam dieses Machtwort. Da war der Streit schon in der Öffentlichkeit.

Viele griechische Medien präsentierten den Zwist allerdings so, dass Zweifel an Georgious Neuberechnungen blieben. Auch weil der neue Mann alte Dunkelfelder beleuchtete. Etwa hoch defizitäre Staatsbetriebe wie die Eisenbahn. Aber beileibe nicht alle dieser Betriebe gingen in die Rechnung ein. Georgiou beharrt darauf, dass auch dies "in Übereinstimmung mit den EU-Regeln" geschah. Stolz ist der Elstat-Chef, dass die EU die jüngsten Berechnungen unbeanstandet übernommen hat. Nun will er die Statistiker schulen, Daten neu erheben, und sie allgemein zugänglich machen. "Griechenland", sagt er, "ist klein und liegt am Rand Europas, wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Europa."

Gut 20 Jahre hat Georgiou beim IWF gearbeitet, bevor er zurückkam. Aus den USA hat er auch seine nun 20-monatige Tochter mitgebracht. Zumindest sie hat er öfter gesehen als das Meer.

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