Griechenlandpolitik:Abkehr vom Dogma

Die CDU emanzipiert sich von Schäubles Zuchtmeister-Politik und dem Grundsatz, dass Finanzhilfen des IWF zwingende Voraussetzung sind, um Krediten für Griechenland zuzustimmen.

Von Cerstin Gammelin

Es ist eine bemerkenswerte Wendung, die gerade in der deutschen Griechenlandpolitik stattfindet. Die Unionsfraktion im Bundestag ist dabei, sich von dem Dogma zu verabschieden, wonach Finanzhilfen des Internationalen Währungsfonds zwingende Voraussetzung sind, um selbst Krediten für Griechenland zuzustimmen. Die Fraktion emanzipiert sich damit von zwei Granden der Partei, von Kanzlerin Angela Merkel und dem früheren Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Beide hatten dieses Dogma geprägt.

Man kann das Signal unterschiedlich interpretieren. Zweifellos ist es ein weiteres Indiz, dass in der deutschen Griechenlandpolitik nach dem Abgang von Schäuble freier gedacht wird. Der Ton des Zuchtmeisters ist verschwunden; niemand diktiert mehr detaillierte Sparauflagen, niemand droht mehr mit dem finalen "isch over". Stattdessen suchen beide Seiten pragmatisch nach Kompromissen. Ein solcher Kompromiss ist es, den IWF nicht mehr zum Mitzahlen aufzufordern. Es ist noch genug Geld im Topf, es reicht auch ohne den Fonds.

Andererseits ist die Kehrtwende der Union nicht einer plötzlich entdeckten Empathie für die geplagten Bürger des südosteuropäischen Landes geschuldet - sondern purem Eigeninteresse. Die Union sitzt in einer Falle, die sie sich selbst gestellt hat. Würde sie bei der Merkel-Schäuble-Diktion bleiben, dass der IWF unbedingt mitzahlen muss für Athen, müsste sie dessen Forderungen mittragen und bereit sein, im Bundestag Schuldenerleichterungen in hoher zweistelliger Milliardenhöhe durchzusetzen. Der Preis dafür wäre hoch. Die politische Konkurrenz würde die Griechenlandpolitik triumphierend als gescheitert abkanzeln; die Bürger daheim in den Wahlkreisen sich womöglich abwenden. Es ist nachvollziehbar, dass die Abgeordneten sich lieber von Merkel, Schäuble und dem IWF emanzipieren als im großen Stil Wählerstimmen zu riskieren, in dem sie vermeintlichen Faulenzern im Süden großzügig die Schulden streichen. Gerade in Bayern, wo im Herbst gewählt wird.

Sicher, diese innenpolitischen Erwägungen sehen zunächst wie eine handfeste Enttäuschung für Athen aus. Die Regierung hat darauf vertraut, dass im August, wenn das Land in die Freiheit entlassen wird, der Schuldendienst erleichtert wird. Aus gutem Grund: Hat man weniger Schulden abzustottern, lockt das Investoren an. Und es überzeugt die Finanzmärkte, Athen wieder Geld zu vernünftigen Konditionen zu leihen. Weil aber großzügige Schuldenerleichterungen im deutschen Bundestag als nicht durchsetzbar erscheinen, ist dieser Traum geplatzt.

Dass Athen deswegen ein dramatisches Spektakel aufführen wird, ist dennoch nicht zu erwarten. Die Europäer waren klug genug, pragmatisch vorzusorgen. Statt in ihren Parlamenten für Schuldenerleichterungen zu werben, geben sie Athen ein finanzielles Polster mit. Die dortige Regierung wird über etwas mehr als 30 Milliarden Euro an Reserven verfügen, wenn sie im August aus dem Kreditprogramm entlassen wird. Das Polster reicht aus, um in den nächsten vier Jahren sämtliche Verbindlichkeiten zu begleichen - vorausgesetzt, dass Athen das Geld nicht anderweitig ausgibt. Klappt das, ist bis zur nächsten Bundestagswahl kein griechisches Drama zu erwarten. Und für die Union zahlte sich die Abkehr vom alten Dogma sogar doppelt aus.

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