Griechenland:Warum Hollande Tsipras hilft

European Leaders Attend EU Summit

Drahtseilakt zwischen den verschiedenen Interessenssphären: Frankreichs Präsident François Hollande (hier bei einem EU-Gipfel mit Merkel und Tsipras am 26. Juni in Brüssel)

(Foto: Getty Images)
  • Präsident Hollande scheut den Bruch mit Kanzlerin Merkel.
  • Doch Frankreichs Linke fordert mehr Solidarität mit Syriza.

Von Christian Wernicke, Paris

Fünf Monate ist es her, da machte sich François Hollande im goldgeschmückten Festsaal des Élysée-Palastes sehr grundsätzlich seine Gedanken über Europa. Über die EU und den Euro also. Und darüber, wo sein Platz ist auf diesem Kontinent. Im Raum stand die Frage eines Journalisten, wo sich der Präsident selbst platziere - als Franzose zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden, als moderater Sozialdemokrat zwischen links und rechts: "Wo stehen Sie?"

Der Mann hinterm Pult zauderte, ein Lächeln huschte über sein rundes Gesicht. "Ich bin Europäer, das ist meine Antwort", sprach der Präsident. Er grinste: "Wenn ich ein linkes Europa wollte, wäre das ein ziemlich kleines Europa." Klarer geht's nicht. Nicht bei Hollande, diesem Konsenspolitiker, der es zu gern jedem recht macht. Auch an jenem Tag im Élysée schob der Franzose noch allerlei Worte hinterher, darunter einen Treueschwur an Berlin: "Es gibt kein starkes Europa ohne ein solides und robustes Band zwischen Frankreich und Deutschland."

Das sind, zugegeben, recht abstrakte Bekenntnisse. Konkret übersetzt ins aktuelle Drama um Euro und Griechenland jedoch erlauben sie nur einen Schluss: Könnte Frankreichs republikanischer Monarch nur tun, was er wollte - er hätte Athens Premier Alexis Tsipras längst die Tür gewiesen. Es gibt Momente, in denen Hollandes harter Kern zu hören ist. Etwa, wenn er am Dienstag den widerspenstigen Griechen zu "höchster Eile" ermahnt und verlangt, Tsipras solle den Euro-Partnern endlich "seriöse und glaubwürdige Vorschläge" für Reformen präsentieren. Das Sparpaket, das Athen nun Brüssel anbietet, lobte Hollande am Freitag mit genau diesen Worten.

Seit Monaten müht sich Hollande hinter den Kulissen

Zur Erinnerung: Seine Laufbahn nach dem Studium auf einer Elitehochschule begann dieser Vernunftmensch in einer Amtsstube beim französischen Rechnungshof. Nur, Hollande regiert nicht allein. Er kann nicht tun oder lassen, was er will. Verprellt er als zu offensichtlicher Freund der Kanzlerin Frankreichs Linke, würde er seine Chancen auf eine Wiederwahl 2017 ruinieren.

Deshalb lässt er seinen Premierminister Manuel Valls voller Pathos im Parlament daran erinnern, dass Frankreichs Nationalheld Victor Hugo sich schon vor beinahe 200 Jahren für Griechenlands Selbstbestimmung eingesetzt hatte. Deshalb verspricht Valls, Präsident und Regierung würden "alles tun, um ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone zu verhindern". Und deshalb weist Hollande seinen Finanzminister Michel Sapin an, dessen neuem Kollegen Euklides Tsakalotos eine Handvoll französischer Budgetexperten zur Seite zu stellen. Die sollten helfen, die griechischen Reformpapiere nachzubessern - und aufzupolieren für Brüssel.

Hollandes Schicksal in Paris entscheidet sich auch in Athen. Er kennt den Albtraum, der ihm droht. Er hat die Schmach schon einmal miterlebt: Am 21. April 2002 schied Lionel Jospin, sein politischer Ziehvater und damaliger Präsidentschaftskandidat der Sozialisten, erbärmlich im ersten Wahlgang aus. In die Stichwahl gegen den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac zog damals der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen. Jospin schied aus, weil auf der Linken noch ein halbes Dutzend anderer Kandidaten angetreten war und die Sozialisten tödlich geschwächt hatten. Solch ein Fiasko soll ihm nicht passieren.

Seit Monaten müht sich Hollande hinter den Kulissen, Frankreichs zerzankte Linke - die Frondeure in der eigenen Fraktion, die Grünen, einige Kommunisten - wieder näher an seine Seite zu ziehen. Viele seiner Wähler von 2012 sind ihm gerade wegen Europa von der Fahne gegangen: Während seiner Kampagne hatte Hollande wie ein Volkstribun versprochen, mit Berliner Sparzwängen und Brüsseler Austeritätspolitik zu brechen und "Europa neu auszurichten". Stattdessen nötigte er dann ein halbes Jahr nach der Wahl seinen Sozialisten ab, dem noch von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy ausgehandelten Fiskalpakt - gleichsam die Verewigung von Maastricht - im Parlament zuzustimmen.

Frankreichs Linke fordert "eine europäische Schuldenkonferenz"

Radikale wie Jean-Luc Mélenchon von der "Partei der Linken" schimpfen den Präsidenten seither einen "Verräter". Andere scheinen bereit zu sein, Hollande eine Chance zur Rehabilitation zu geben. "Ich habe schon so oft davon geträumt, dass Hollande eine Initiative ergreift, die ihn zum Helden eines 'anderen Europas' macht. Bisher hat er sie nie genutzt", sagte der linke PS-Europaabgeordnete Emmanuel Maurel. Inzwischen macht er Zeichen der Hoffnung aus - weil Hollande, anders als Merkel und klarer denn je, den Griechen auch einen Schuldenerlass in Aussicht stellt. Paris ist, nach Berlin, mit 65 Milliarden Euro Athens zweitgrößter Gläubiger.

Und Frankreichs Linke will mehr, viel mehr. In einem Antrag, den diese Woche immerhin 54 Abgeordnete der Nationalversammlung unterschrieben, wird die Vision ausgemalt, eine Rettung Griechenlands solle nur der Anfang sein. Das Papier fordert "eine europäische Schuldenkonferenz" und einen neuen "großen Investitionsplan für Europa". Solch große Würfe macht Hollande nicht mit. Er ist ein Politiker der kleinen Schritte, lobt die Synthese als seine Methode der Politik. Als "Mittler zwischen Athen und Berlin" beschreiben die PR-Berater im Élysée ihren Dienstherren. Nur, mit seinem Referendum hat Tsipras viel Vertrauen verloren bei Hollande, gibt ein Berater zu: "Bis dahin hatte der Präsident immer den großen Bruder gespielt" für den jungen Premier. Das sei vorbei.

Man muss auf die Zwischentöne hören, um zu verstehen, wohin der Präsident sich neigen wird - falls es am Wochenende doch kracht in Europa. Intern jedenfalls heißt die Parole im Élysée: Keine Konfrontation mit dem Kanzleramt. Athen im Euro zu halten, das nennt Hollande "unser Ziel". Von "Bedingung" spricht er nicht. Ein Vertrauter des Präsidenten sagt es klarer: "Wir tun alles - aber nicht um jeden Preis."

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