Holocaust:Griechenland erinnert an die deutsche Besatzung

Holocaust: Architekten aus Berlin und Tel Aviv haben sich für ihren Entwurf den Weißen Turm zum Vorbild genommen, Thessalonikis Wahrzeichen im Osten der Stadt. (Foto: OH)

Architekten aus Berlin und Tel Aviv haben sich für ihren Entwurf den Weißen Turm zum Vorbild genommen, Thessalonikis Wahrzeichen im Osten der Stadt. (Foto: OH)

  • In Thessaloniki soll ein Gedenkzentrum für die ermordeten Juden der Stadt entstehen. Die Nazis hatten dort nahezu die gesamte Gemeinde umgebracht.
  • Das Museum wird auch mit deutschem Geld finanziert - vielen Griechen fiel es schwer, die Hilfe aus Deutschland anzunehmen.

Von Mike Szymanski, Thessaloniki

Im Hafen von Thessaloniki hat die Fregatte Sachsen festgemacht. Wer zur Gedenkfeier für die ermordeten Juden von Thessaloniki in dem zum Kulturtreff umgebauten Lagerhaus will, muss ausgerechnet an einem deutschen Kriegsschiff vorbei. Die Leute mustern das Schiff, wortlos, vor allem die Älteren. Und gehen dann weiter. Die Deutschen haben viel Leid über diese griechische Stadt gebracht. Heute kommt alles hoch. Der Zufall will es, dass das Schiff im Rahmen einer Nato-Mission in diesen späten Januartagen in Thessaloniki angelegt hat. Die Szenerie hat etwas von einem Test: Tut es weh?

David Saltiel, ein Mann mit weißem Schnauzbart und fröhlichen Falten um die Augen, sagt: "Wer erlebt hat, was wir erlebt haben, fürchtet sich vor nichts mehr." Saltiel ist Präsident der Jüdischen Gemeinde von Thessaloniki. Er ist an diesem Tag einer der Hauptredner der Gedenkfeier. Natürlich geht es darum, in Erinnerung zu rufen, was passiert ist, damit es nicht noch einmal in Vergessenheit gerät. "Das Dritte Reich hat die bedeutendste, lebendigste jüdische Gemeinde in Griechenland zerstört", sagt er vor ein paar Hundert Zuhörern. Aber er hat auch eine wichtige Nachricht zu überbringen: Noch in diesem Jahr könnten die Bauarbeiten für das zentrale griechische Holocaust-Gedenkzentrum in Thessaloniki beginnen.

"Es gibt Hoffnung für ein besseres Morgen", sagt Saltiel. Und an diesem besseren Morgen wollen die Deutschen mitarbeiten. Im deutsch-griechischen Verhältnis geht es oft um Schmerz. Seit ein paar Jahren ist es das griechische Schuldendrama, welches das Verhältnis auf eine harte Belastungsprobe stellt. Griechenland musste mittlerweile mit dem dritten Hilfspaket von den europäischen Geldgebern vor dem Bankrott gerettet werden. Die Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stellt sich gegen einen Schuldenschnitt für Griechenland. Er besteht darauf, dass Athen die Milliarden zurückzahlt und weitere Reformen umsetzt.

Die harten Positionen aus Berlin im Krisensommer 2015 verstörten viele ältere Griechen

Die harte Position aus Berlin hatte vor allem im Krisensommer 2015, als es noch um den Grexit ging, viele ältere Griechen verstört. Sie fühlten sich an die Besatzungszeit erinnert. Wann immer die Wut auf Deutschland überzuschäumen droht, dauert es nicht lange, bis Plakate Schäuble oder Kanzlerin Merkel als NS-Schergen verunglimpfen.

In diesem Klima gehen Griechen und Deutsche in Thessaloniki einen großen Schritt aufeinander zu, um den Schmerz einer alten Wunde zu lindern. Auf dem Gelände des Güterbahnhofs im Westen der Stadt, von dem am 15. März 1943 der erste Zug mit 2800 Juden in Richtung Auschwitz abfuhr, soll für 22 Millionen Euro die Gedenk- und Bildungsstätte entstehen. Zehn Millionen davon kommen aus dem Bundeshaushalt, weitere zehn Millionen Euro will die Stavros-Niarchos-Stiftung für das Projekt bereitstellen. Niarchos war einer der bedeutendsten griechischen Reeder. Der verbleibende Teil entfällt auf die Jüdische Gemeinde. Als Frank-Walter Steinmeier im Dezember als Außenminister Thessaloniki besuchte, sagte er, Deutschland bekenne sich ohne Einschränkung zur "politischen und moralischen Verantwortung" für die schrecklichen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs. Zwischen März und August hatten die Nazis nahezu das gesamte jüdische Leben in Thessaloniki ausgelöscht und etwa 50 000 Menschen deportiert - darunter auch fast alle aus Saltiels Familie. Wenn er später seinen Vater fragte, wie groß seine Familie gewesen sei, entgegnete dieser: Man habe morgens angefangen, die Verwandtschaft zu besuchen, und sei erst am späten Abend bei den letzten Familienmitgliedern gewesen.

Saltiel sagt, sie bräuchten das Gedenkzentrum, damit die Bürger von Thessaloniki beginnen könnten, sich mit der Vergangenheit vertraut zu machen. Auch Thessalonikis Bürgermeister Giannis Boutaris sieht das so: "Die Erinnerung an das Miteinander ist gelöscht worden." Deshalb habe das Museum das Potenzial, alles zu verändern.

Am bemerkenswertesten ist die Kooperation der Jüdischen Gemeinde mit Deutschland. Gerade in der Gemeinde tat man sich schwer, Geld aus Deutschland für den Bau anzunehmen, schließlich hatten die Juden Thessalonikis die Kosten für ihre Deportation selbst bezahlen müssen. Die Nazis hatten die Gemeinde finanziell ausgeplündert - vergessen ist das bis heute nicht. Die Forderung nach Entschädigungen steht noch im Raum. Aber sie steht der Gedenkstätte nicht mehr im Weg.

Architekten aus Berlin und Tel Aviv haben sich beim Aussehen des Museums am Stadtbild orientiert und sich den Weißen Turm, das Wahrzeichen Thessalonikis im Osten der Stadt, zum Vorbild genommen. Nun könnte der städtebaulich unterwickelte Osten mit dem Museum seinen eigenen weißen Turm bekommen. Ein Turm mit einem Gedächtnis.

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