Griechenland:Scheitern in Echtzeit

Griechenland: Griechenlands Finanzminister Euclid Tsakalotos (links) bekam zwar Lob von EZB-Chef Mario Draghi, aber keinen Kredit.

Griechenlands Finanzminister Euclid Tsakalotos (links) bekam zwar Lob von EZB-Chef Mario Draghi, aber keinen Kredit.<QM>

(Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

Es gab großes Lob für Athen, aber kein weiteres Geld. Ein vertrauliches Protokoll aus der Euro-Gruppe zeigt, warum Griechenland auf einen neuen Kredit warten muss.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die letzte aufgezeichnete Wortmeldung des deutschen Finanzministers klingt resigniert-trotzig. Machen wir uns nichts vor, "wir sind richtig gescheitert", ist hinter dem Namen Wolfgang Schäuble vermerkt. Er sei "wirklich enttäuscht", weil einige Partner über frühere Vereinbarungen hinausgehen wollten, um einen Kompromiss zu finden. "I'm sorry", es tut mir leid. Damit stellt er klar: Schuld sind andere. Und weiter vorne ist auch nachzulesen, wer auf klaren Schuldenvereinbarungen für Athen besteht, bevor er selbst Geld gibt - der Internationale Währungsfonds.

Die Notizen stammen aus einem vertraulichen Gesprächsprotokoll der Euro-Gruppe vom vergangenen Montag in Brüssel. Es ist ein Protokoll des Scheiterns in Echtzeit, nachzulesen auf sechs Seiten. Den Euro-Finanzministern und den Gläubigern Griechenlands gelingt es wieder nicht, sich auf die Bedingungen zu einigen, unter denen die nächste Kreditrate ausgezahlt werden kann. Athen muss weiter warten, weil die Gläubiger streiten. Jeroen Dijsselbloem, Chef der Euro-Gruppe, beendet die stundenlangen Gespräche desillusioniert. Er werde nun daran arbeiten, die Interessen irgendwie zu überbrücken. "Entweder durch neue Vorschläge oder reduzierte Erwartungen."

Gesprächsprotokolle wie dieses gehören zu den am besten gehüteten Geheimnissen in Brüssel, Berlin und anderen Hauptstädten. Um diplomatische Verwerfungen zu vermeiden, soll vertraulich bleiben, wie Unterhändler ihre Interessen vertreten. Dem Bürger werden abgestimmte Nachrichten serviert, die Konflikte sorgfältig verborgen. In dem sieben Jahre dauernden Streit um Milliarden Euro für Athen stößt diese Praxis an ihre demokratischen Grenzen.

Schon im Mai 2015 hatte der damalige Finanzminister Yannis Varoufakis gedroht, die Debatten der Euro-Gruppe heimlich aufzuzeichnen und zu veröffentlichen - um zu beweisen, wie Athen seiner Meinung nach praktisch erpresst werde. Das "Varoufakis-Gate" blieb Europa erspart. Zwei Jahre später bestätigt das vertrauliche Gesprächsprotokoll allerdings, dass es durchaus nicht allein an Athen liegt, dass das Land noch immer nicht selbständig wirtschaften kann. Singuläre Interessen verzögern die Auszahlung von Kreditraten, sie sorgen für Unruhe an den Kapitalmärkten und verhindern Athens Rückkehr in die Normalität. Bruno Le Maire, der französische Finanzminister, spricht das Dilemma im Protokoll an: Solange der Streit über Schuldenvereinbarungen anhält und unklar ist, ob der IWF sich am Kreditprogramm beteiligt, kann die Europäische Zentralbank (EZB) keine griechischen Vermögenswerte wie Staats- oder Unternehmensanleihen ankaufen, um damit wie in den anderen Euro-Staaten die Wirtschaft anzukurbeln. Der Streit lässt das Land am Finanztropf hängen.

Am Montagnachmittag um 16.15 Uhr startet die Aufzeichnung. Im Ratsgebäude haben sich die Finanzminister versammelt sowie die Gläubiger Griechenlands: die Europäische Kommission, die EZB, der Euro-Rettungsfonds (ESM) und der IWF. EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici lobt Athens Finanzminister Euclid Tsakalotos für die "großen Anstrengungen". EZB-Chef Mario Draghi freut sich, dass sich Athens Position an den Märkten verbessert. Ein Zeitplan wird entworfen für die Auszahlung der nächsten Tranche.

Dann prallen die Interessen Deutschlands und des IWF aufeinander. Schäuble beharrt darauf, dass er "wie jeder andere deutsche Finanzminister" kein Mandat habe, jetzt konkrete Schuldenerleichterungen zu vereinbaren. Der IWF-Vertreter Poul Thomsen betont, er brauche realistische, belastbare Aussagen. Österreichs Finanzminister Hans-Jörg Schelling will wetten. Sollte die EU-Kommission recht behalten, was Wachstum und Haushaltsüberschuss betreffe, müsse der IWF doppelt so viel Kredite zahlen. Stimme die Annahme des IWF, müsse er gar nichts zahlen. "Sie werden verlieren", sagt Schelling. Die Wette wird verworfen, die Runde überlegt sich allerdings einen ähnlichen Kompromiss. Danach könnte der IWF jetzt grundsätzlich einem Programm für Athen zustimmen. Aber zahlen würde der Fonds erst, wenn Schuldenerleichterungen vereinbart sind, also 2018, wenn überhaupt. Am 15. Juni soll darüber entschieden werden. Athen müsste wohl weiter auf den Beistand der EZB verzichten. Aber Schäuble hätte eine gesichtswahrende Lösung.

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