Griechenland-Krise:Hört auf, Europa kaputtzureden

Griechenland-Krise: Leidenschaftlich pro EU: eine Frau auf einer Demonstration in Athen

Leidenschaftlich pro EU: eine Frau auf einer Demonstration in Athen

(Foto: AP)

Der Grieche nervt? Nein, nicht der Grieche. Es sind Politiker, denen bequemer Anti-Europa-Populismus leichter über die Lippen geht als differenzierte Wahrheiten.

Von Thorsten Denkler, Berlin

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Thomas Strobl gehört nicht zu den CDU-Politikern, die in den vergangenen Monaten durch besonders kluge Kommentare zur Griechenland-Krise aufgefallen wären. Eigentlich ist er durch gar keine Kommentare aufgefallen. Jetzt aber hat er wohl alles mit einem Satz nachholen wollen. Kurz vor der CDU-Präsidiumssitzung nach dem Euro-Gipfel am Wochenende sagte er in die Kameras dies: "Der Grieche hat jetzt lang genug genervt." Bäm!

Da ist alles drin, was in dieser aufgeheizten Stimmung rund um die Griechenland-Krise an Auswüchsen zu finden ist: Eine ungeheure Abfälligkeit gegenüber einem Partnerland als "der Grieche". Die Überhöhung eines bauchfühligen Genervtseins zu einem Begriff politischen Handelns, weil der Grieche eben so nervt. Die politisch völlig sinnlose Ungeduld, sie sich im "jetzt lange genug" widerspiegelt.

Die eine Frage, die hinter dem Satz steht, lautet: Mit einem Griechen, der so nervt, mit dem will nun wirklich keiner etwas zu tun haben, oder? Die zweite, weitaus tiefer liegende Frage: Gehört dieser Nerv-Grieche überhaupt zu uns, zu Europa?

"Der Grieche", wie Strobl ihn beschreibt, ist dieser Junge in der Klasse, mit dem keiner spielen will. Dieses Mädchen, das auf dem Pausenhof immer allein in der Ecke steht. Und Strobl feuert auch noch diejenigen an, die für solche Kinder nicht mehr übrig haben als blöde Sprüche.

Das Freund-Feind-Denken ist zurück in Europa

Strobl ist damit ja nicht allein. Kleingeister wie er finden sich in der Bild-Zeitung, in der griechischen und der deutschen Regierung, in deutschen wie griechischen Parteien. Unter deutschen wie griechischen Wissenschaftlern. Sie finden sich in ganz Europa. Jeder mit seiner beschränkten Sicht. Ausgestattet mit einer beneidenswerten Faktenresistenz, die solche Aussagen überhaupt erst möglich macht. Wenn sie nicht mit Vorsatz daherkommen.

Das Freund-Feind-Denken ist zurück in Europa. Carl Schmitt, der so umstrittene wie angesehene deutsche Staatsrechtler, hat sich mit dem Freund-Feind-Phänomen in seinem Aufsatz über den "Begriff des Politischen" schon 1932 auseinandergesetzt. Für ihn ist das Freund-Feind-Denken eine der wichtigsten Triebfedern staatlichen Handelns. Es entspricht den Unterscheidungen von Gut und Böse im Moralischen, von Schön und Hässlich im Ästhetischen. Von Nützlich und Schädlich in der Ökonomie.

Schmitt kommt zu der Auffassung, für dieses Denken genüge es, dass der politische Feind, "in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist".

Nach Schmitt läuft dieses Denken, das unabweisbar jedem staatlichen Handeln zugrunde liege, auf die realpolitische Option hinaus, gegen diesen Feind in den Krieg zu ziehen. Der Rest ist Gruppen-Psychologie. Wir gegen die.

So weit ist es mit Griechenland nicht. Aber der rhetorische Volkssturm hat sich schon formiert. Es gibt kein Dazwischen mehr. Es gibt nur für Griechenland und gegen Deutschland. Für Deutschland und gegen Griechenland.

Griechenland raus aus dem Euro. Am besten gleich raus aus der EU. Sagen die einen. Ohne jede Rücksicht auf geostrategische Interessen oder gar das Schicksal der Griechen. Andere wollen helfen um jeden Preis, ohne irgendeine Gegenleistung oder Kontrolle. Für die steht der Feind im eigenen Land. Sie applaudieren innerlich, wenn Kanzlerin Merkel oder ihr Finanzminister Schäuble in griechischen Zeitungen mit Hitlerbärtchen abgebildet werden.

Europa, die Europäische Union sollte dieses Freund-Feind-Schema einmal überwinden helfen, sollte Carl Schmitt widerlegen. In Verträge gegossener Ausgleich der Interessen statt Feindschaft. Die Montanunion am Anfang, offene Grenzen, gemeinsame Währung: Das waren politische Projekte. Keine vornehmlich ökonomischen. Allerdings mit dem Effekt, dass vor allem der wirtschaftsstarke Norden der EU profitiert hat.

Das darf doch noch gesagt werden, oder? Deutsche Konzerne wie Siemens oder Hochtief haben über Jahre gute Geschäfte mit den günstigen Krediten gemacht, die Griechenland mit dem Eintritt in den Euro-Raum gewährt wurden. Das hat viele deutsche Arbeitsplätze gesichert. Nur die Wertschöpfung in Griechenland blieb überschaubar.

Oder dies: Deutschland ist Krisengewinnler! Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat ausgerechnet, wie viel Deutschland allein daran verdient hat, dass die Zinsen für eigene Kredite wegen der Griechenland-Krise so in den Keller gegangen sind. Mehr als 100 Milliarden Euro waren es von Beginn der Krise 2009 bis zum Jahr 2014. Nur damit sei Schäubles schwarze Null überhaupt zu erreichen gewesen.

Aber das sind Argumente, die in den Debatten am Stammtisch, auf Facebook oder Twitter kaum noch Gehör finden. "Der Grieche" nervt, ist faul, er kostet uns Geld. Und will immer noch mehr von unseren hart erwirtschafteten Euros. Punkt. Dass wir manchen Euro auf dem Rücken der Griechen erwirtschaftet haben, spielt da keine Rolle mehr. Das wäre zu differenziert.

Wie Europa sich kaputt polemisiert

Europa ist dabei sich kaputt zu polemisieren. Das gilt für alle Seiten. Weder wollen die Verhandler aus Deutschland, Frankreich und dem Rest der Euro-Gruppe Griechenland an die Wand fahren. Noch wollen uns die Griechen alles nehmen, um mit den frischen Kredit-Euros endlich wieder ein feudales Leben führen zu können. Ganz ehrlich: Feudal haben nur einige wenige Griechen vom Euro gelebt. Und das meist auf Kosten ihrer eigenen Landsleute.

Wären die Politiker ehrlich in Griechenland, würden sie nicht jeden Bockmist, den sie verzapft haben, auf die Euro-Länder abschieben. Wären die Euro-Länder ehrlich, so müssten sie ihren Bürgern sagen, dass sie zu lange tatenlos zugesehen haben, wie die großen Länder im Club - Deutschland, Frankreich und Italien - die Stabilitäts-Kriterien missachtet haben. Der Regelbruch im Euro-Raum ist keine griechische Erfindung. Eher eine deutsche. Deutschland hat schon 1996, noch vor der Einführung des Euro als Hartgeld-Währung, die damals gültigen Konvergenz-Kriterien für die Euro-Einführung verfehlt.

Diese neue Ehrlichkeit würde sich lohnen. Weil es um viel mehr als um eine Währung geht. Rein ökonomisch betrachtet mag es Gründe für oder gegen neue Kredite für Griechenland geben. Für oder gegen einen Verbleib im Euro. Aber Europa ist mehr als ein Wirtschaftsbündnis. Es ist ein Projekt gemeinsamer Werte und Ideen. Eines, das die Logik von Fehden und Feindschaften aufbricht. Was kann es besseres geben?

Es braucht eine politische Union

Um da weiterzukommen, braucht es mehr als eine Wirtschafts-und Währungsunion. Es braucht eine politische Union. Dringender denn je. Mehr Macht für ein demokratisch gestärktes EU-Parlament. Am Ende vielleicht eine vom Parlament getragene europäische Regierung, in der es nicht mehr an erster Stelle um Nationalitäten geht. Sondern stets um das große, das ganze Europa.

Gemeinsame Sozialpolitik, gemeinsame Haushaltspolitik, gemeinsame Verteidigungs-, Sicherheits- und Außenpolitik. Das wäre mal eine Vision. Und nebenbei der wohl einzige Weg, die Gemeinschaftswährung, ja die Europäische Union dauerhaft zu erhalten.

Die Menschen aber sind im Moment für solche Ideen schwer zu begeistern. Wer will ihnen das verübeln? Seit Jahren hören sie die Mär von den bösen Bürokaten in Brüssel, die vor allem vom Politikversagen der nationalen politischen Klasse ablenkt. Geht etwas schief, wie jetzt wohl das Ausländer-Maut-Projekt der CSU, dann war es Brüssel. Läuft es toll, war es immer die eigene Regierung.

Dieser bequeme Alltagspopulismus hat wahrscheinlich mehr Vertrauen zerstört als alle griechischen Regierungen zusammen. Er hat die radikalen Kräfte in Europa erst wachsen lassen, ob es der Front National in Frankreich ist oder die Volkspartei in Dänemark.

Es wird Zeit, dass das endet. Ohne eine positive Vision von einem neuen, starken Europa wird es die EU vielleicht bald nicht mehr geben. Europa würde zerfallen, sich allein den nationalen Egoismen hingeben. Der Wohlstand ist so nicht zu sichern. Und ob der Frieden halten würde, wer weiß. Die Gräuel vergangener Kriege haben die Menschen noch nie davon abgehalten neue Kriege zu führen. Das haben bisher nur Verträge und Bündnisse geschafft. Darin liegt der unermessliche Wert dieses komplizierten, großen und ja, manchmal auch nervigen Europa.

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