Griechenland:Die große Umverteilung

Griechenland: Verzweifelt und hinter Gittern: Die griechischen Hotspots sind zu Abschiebezentren geworden, in denen Flüchtlinge gegen ihren Willen festgehalten werden.

Verzweifelt und hinter Gittern: Die griechischen Hotspots sind zu Abschiebezentren geworden, in denen Flüchtlinge gegen ihren Willen festgehalten werden.

(Foto: Aris Messinis/AFP)

Bei seinem Besuch auf Lesbos wird der Papst sehen, dass es hapert mit dem EU-Flüchtlingspakt. Zumindest der Kampf gegen Schleuser zeigt Wirkung.

Von Thomas Kirchner und Mike Szymanski, Brüssel/Istanbul

Der Papst betritt gefährliches Terrain. Fünf Stunden hält sich Franziskus an diesem Samstag auf der griechischen Insel Lesbos auf, um sich solidarisch mit den leidenden Flüchtlingen zu zeigen. Er besucht das Lager Moria, um dort mit Flüchtlingen zu Mittag zu essen. Außerdem gedenkt er am Hafen der kleinen Inselhauptstadt Mytilini der vielen Hundert Menschen, die bei der gefährlichen Überfahrt von der Türkei ihr Leben ließen.

Franziskus kommt zu einem Zeitpunkt, da offen ist, ob die EU die Flüchtlingskrise in den Griff bekommt. Eigentlich sollten sich schon bald keine Flüchtlinge mehr auf Lesbos aufhalten. Denn gemäß dem Abkommen mit der Türkei sollen sie entweder gar nicht erst kommen oder schnell zurückgeschickt werden.

Aber das klappt noch nicht wie geplant, wie ein Besuch in Kilis zeigt, direkt an der Grenze zu Syrien. Dort hat die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad soeben ein Camp mit 10 000 Plätzen fertiggestellt. In den zweistöckigen Containern hat noch keiner gewohnt. Im Küchenregal stehen saubere Töpfe und Pfannen. Vom oberen Stockwerk aus kann man sogar über den Stacheldrahtzaun und über die Betonmauer dahinter nach Syrien schauen. Eine Notunterkunft mit Ausblick.

Doch die Container stehen leer.

Der Flüchtlingsdeal zwischen Türkei und EU ist seit zwei Wochen in Kraft. Es geht darum, den EU-Ländern in dieser Krise Luft zu verschaffen und das Massensterben bei der Überfahrt nach Griechenland zu stoppen. Die EU hat der Türkei sechs Milliarden Euro zur Versorgung der Flüchtlinge zugesagt. Außerdem hat sie eine rasche Visa-Liberalisierung versprochen und zügigere Beitrittsgespräche angekündigt.

Die Türkei ihrerseits will alle Flüchtlinge aus Griechenland zurücknehmen, die nach dem 20. März dort angekommen sind und noch ankommen werden. Für jeden Syrer unter ihnen kann sie einen syrischen Flüchtling aus einem ihrer Camps direkt in die EU schicken.

Vom leeren Camp in Kilis aus betrachtet muss man wohl sagen: Der Deal funktioniert nicht oder zumindest noch nicht. Etwas mehr als 300 Flüchtlinge hat die Türkei seit dem Start des Programms am 4. April zurückgenommen. Am ersten Tag kamen gut 200 Leute. Später setzten noch einmal Fähren von den griechischen Ferieninseln ins türkische Dikili über. Dann war schon wieder Schluss mit der angekündigten großen Umverteilung.

Die griechischen Asylbeamten sind mit der Flut von Anträgen überfordert

In den Hotspots auf den griechischen Inseln beantragt nun fast jeder Flüchtling Asyl. Bislang war Griechenland für sie nicht attraktiv, nun ist jeder weitere Tag in dem Land kostbar geworden. Bevor über die Verfahren nicht entschieden ist, kann auch niemand in die Türkei abgeschoben werden. Und die griechischen Asylbeamten sind angesichts der Flut von Anträgen überfordert. Länger als zwei Wochen soll das Prüfverfahren nicht dauern. Tut es derzeit aber noch. Die Stimmung in den Hotspots ist angespannt. Sie sind zu Abschiebezentren geworden, in denen die Flüchtlinge auch gegen ihren Willen festgehalten werden.

Bei der direkten Umsiedlung in die EU-Länder sieht es kaum besser aus, sie läuft nur langsam an. Erst 79 syrische Flüchtlinge aus türkischen Lagern konnten per Flugzeug nach Deutschland, in die Niederlande und nach Finnland weiterreisen. Auch gemessen an diesen Zahlen müsste man sagen: Der Deal ist ein Flop.

Von den griechischen Stränden aus betrachtet, fällt das Urteil anders aus, und das ist die Perspektive, die auch in Brüssel eingenommen wird. Dort verweist man darauf, dass das wichtigste Ziel - die Zahl der Ankommenden zu reduzieren - schnell und gründlich erreicht worden ist. Zu den Hochzeiten der Flüchtlingskrise kamen 7000 Flüchtlinge am Tag in Griechenland an. Für den 6. April, zwei Tage nach Inkrafttreten des Deals, meldet die türkische Regierung nur noch 70 Flüchtlinge, die nach Griechenland übergesetzt hätten, am 10. April habe die Zahl sogar bei null gelegen. Offenbar hat sich herumgesprochen, dass es auf diesem Weg aus der Türkei kein Weiterkommen gibt. Ein hoher Beamter im türkischen Außenministerium sagte der SZ: "Mit diesem Pakt geben wir Schmugglern die klare Botschaft, dass sie in der Ägäis keine Grundlage mehr für ihre Geschäfte haben." Im Außenministerium ist man höchst zufrieden mit sich und dem Start des Abkommens. Der Deal sei ein "überwältigendes Beispiel" dafür, wie nun Lasten und Verantwortung zwischen EU und Türkei geteilt würden. Ganz so euphorisch ist die Regierung in Athen nicht. Sie hat einen Krisenstab eingerichtet, der versucht, die Beschlüsse umzusetzen. Die Bedingungen dafür, dass das Abkommen ein Erfolg werde, seien gegeben, sagte ein Sprecher. Es fange vielversprechend an, es sei aber zu früh für ein Urteil. Was die mehr als 50 000 Flüchtlinge betrifft, die in Griechenland festsitzen, lautet die gute Nachricht aus Athen: Es werden im Augenblick nicht signifikant mehr.

In Athen wünscht man sich vor allem mehr Einsatz von den EU-Ländern. Diese hatten versprochen, Personal zu schicken. 400 Asylbeamte und Übersetzer sollen helfen. Erst gut ein Viertel sei eingetroffen, ein Teil von ihnen werde geschult. Bis die Helfer aus dem Ausland den Griechen wirklich Arbeit abnehmen, wird es noch dauern.

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