Griechenland:Drei Boote, kein Internet

Griechenland: Migranten kommen an der Küste von Lesbos an.

Migranten kommen an der Küste von Lesbos an.

(Foto: Santi Palacios/AP)

Athen schafft es nicht, seine Grenze zu kontrollieren, rügt die EU-Kommission in einem Bericht.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

22 Seiten umfasst das Papier, und darin fällt ein vernichtendes Urteil: "Griechenland vernachlässigt ernsthaft seine Pflichten bei der Kontrolle seiner Grenze", und zwar in jeglicher Hinsicht: bei der Überwachung der Seegrenze, der Identifizierung von Flüchtlingen, der Abnahme von Fingerabdrücken, der vorübergehenden Unterbringung und gegebenenfalls der Abschiebung. Die Gründe: zu wenig Personal, Unfähigkeit. Das Ganze stelle ein mögliches Sicherheitsrisiko für die Mitgliedstaaten des Schengen-Raums dar. Die griechischen Behörden müssten die "ernsthaften Mängel" angehen und abstellen, fordern die Autoren.

Der Bericht stammt von der EU-Kommission. Sie will ihn nicht veröffentlichen, eben weil er "Sicherheitsfragen" betreffe, wie eine Sprecherin sagt. Das Kollegium der Kommissare hat ihn am Dienstag verabschiedet und an den Ministerrat weitergeleitet, die Vertretung der EU-Staaten. Griechenland erhält nun eine Liste von 50 Verbesserungsvorschlägen, die es innerhalb von drei Monaten umsetzen müsste. Gelingt das nicht, würde erstmals eine komplizierte Prozedur nach Artikel 26 des Schengener Grenzkodex in Gang gesetzt. Weil dann das Funktionieren des Schengen-Raums insgesamt in Gefahr wäre, erhielten andere Länder die Erlaubnis, ihre Grenzen oder Teile davon wieder zu kontrollieren. Für griechische Bürger könnte das einen faktischen Ausschluss aus Schengen bedeuten, auch wenn das lediglich Flug- und Seereisende betreffen würde.

Der Bericht soll also nicht nur Griechenland unter Druck setzen und zur Besserung anhalten. Er liefert auch eine Rechtsgrundlage, damit jene Staaten, die an den Binnengrenzen schon jetzt wieder Pässe überprüfen, ihre temporären Kontrollen verlängern können. Dazu zählen Deutschland, Österreich, Schweden, Frankreich, Norwegen und Dänemark. Ihre Anträge sind von der Kommission stets positiv beschieden worden, der deutsche zuletzt im November. Er kann Mitte Februar noch einmal um drei Monate verlängert werden. Spätestens am 13. Mai jedoch muss die Kommission entscheiden, ob sie Berlin unter Berufung auf Artikel 26 eine Ausnahme gewährt, die dann dreimal auf maximal zwei Jahre verlängert werden dürfte. Ist die Krise bis dahin immer noch nicht gelöst, wäre das Schengener Abkommen endgültig Makulatur.

Athen müsse handeln und auch Hilfe der EU-Partner annehmen, sagt ein CDU-Europaabgeordneter

Juristisch bewegt sich die EU bei solchen Bewertungen auf schwierigem Terrain. Nicht von ungefähr entsprechen die Feststellungen des Griechenland-Berichts genau dem Wortlaut des Grenzkodex. Die Prüfer der Kommission waren - wie vorgeschrieben unangekündigt - vom 10. bis 13. November in die Ägäis gefahren. Sie konzentrierten sich auf die Inseln Samos und Chios vor der türkischen Küste. Vor Samos stünden den Griechen zwei, vor Chios drei Boote zur Verfügung, das sei zu wenig, so die Prüfer. Auch seien die Grenzschützer technisch nicht in der Lage, Schmugglerboote zu orten. Was durchgängig nicht oder mangelhaft funktioniert, ist die Kontrolle und Registrierung der Flüchtlinge: Entweder gibt es zu wenig Fingerabdruck-Scanner, oder das Internet funktioniert nicht, während mancherorts gleich nur mit Tinte auf Papier gearbeitet wird. Ein Abgleich mit europäischen Datenbanken wie dem Schengen-Informationssystem ist so von vornherein unmöglich.

Auch an der Landgrenze zur Türkei schauten sich die Prüfer um. Dort kommen, weil sie durch den Fluss Evros und einen hohen Zaun abgesichert wird, weniger Flüchtlinge durch. Aber auch dort gebe es zu wenig Personal, so der Bericht, am Übergang in Kastanies existiere keine Möglichkeit für eine sinnvolle Gesichtskontrolle.

"Der Bericht listet ungeschminkt die Versäumnisse der griechischen Behörden auf", sagt der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul. "Jetzt liegt es an Griechenland, endlich zu handeln und auch Hilfe der EU-Partner anzunehmen." Ansonsten könne ein Ausstieg des Landes aus dem Schengen-Raum kein Tabu sein.

Der Bericht, das muss gesagt werden, spiegelt nicht die aktuelle Lage wider. Diese hat sich seit November mutmaßlich verbessert. Frontex hat weitere Beamte auf die griechischen Inseln geschickt, neue Eurodac-Registriergeräte sind angekommen oder unterwegs. Ein Team der EU-Kommission hilft beim Aufbau der Hotspots, der UNHCR bemüht sich, Tausende Unterkünfte zu organisieren.

Trotz der Hilfe von außen muss Griechenland die wesentliche Arbeit aber vorerst weiterhin allein verrichten. Der Bericht lässt erahnen, wie schwer es sich damit tun wird.

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