Krise in Griechenland:"Keine Führung, alles löst sich auf"

Verzweifelte Beamte wissen nicht mehr, was sie machen sollen, Bürger prügeln auf Journalisten ein, viele fürchten um die Zukunft ihres Landes: Premierminister Papandreou wollte mit einer Kabinettsumbildung seine Mehrheit retten, doch er hat die Kontrolle über seine Mannschaft verloren - und über Griechenland. Schon braut sich neues Unheil zusammen.

Christiane Schlötzer

Der griechische Journalist Tasos Telloglou hütete am Donnerstag noch das Krankenbett, am Tag zuvor war er in Athen zusammengeschlagen worden. Ein Angreifer hatte ihn übel zugerichtet, er verlor das Bewusstsein. Erst hieß es, Anarchisten hätten den prominenten TV-Mann am Rand der Demonstrationen am Syntagma-Platz erkannt. Die griechischen Anarchisten mischen mit vermummten Gesichtern gern Protestzüge auf. Telloglou aber sagt, er sei zuerst von rund 30 Leuten beschimpft worden, wütenden Staatsdienern vor allem. Danach habe einer aus der Menge zugeschlagen - maskiert war der Angreifer nicht.

Griechenland ist außer Kontrolle. Normale Bürger prügeln auf Journalisten ein, und andere, die so etwas nie tun würden, fürchten um die Zukunft ihres Landes. Ein Beamter in einem Athener Ministerium sagte der Süddeutschen Zeitung: "Wir wissen hier gar nicht, was wir eigentlich machen sollen, es gibt keine Führung mehr." Der verzweifelte Mann fügte hinzu: "Alles löst sich auf."

Auch Giorgos Papakonstantinou, immerhin bislang als Finanzminister einer der wichtigsten Ansprechpartner der europäischen Geldgeber, hatte offenbar keine Ahnung, was aus ihm werden soll, als sein Premier Giorgos Papandreou am Mittwoch die griechische Öffentlichkeit damit überraschte, dass er eine neue Regierungsmannschaft aufstellen wolle.Die Kabinettsumbildung sollte offenbar ein Befreiungsschlag für den angeschlagenen Premier werden.

Aber schon am Donnerstagmorgen war klar, dass der Kapitän das Kommando über seine Mannschaft verloren hat. Evangelos Venizelos, bislang Verteidigungsminister und ein Schwergewicht im Kabinett, ließ wissen, er wolle einer neuen Regierung nicht mehr angehören. Giorgos Floridis, ein Ex-Vizefinanzminister mit beträchtlichem Ansehen, gab gleich seinen Austritt aus der Regierungsfraktion bekannt. Politiker aller Parteien hätten versagt, schrieb er an den Parlamentspräsidenten. "Anstatt Alarm zu schlagen, haben die Parteien sich darauf verlegt, ihre eigenen kleinlichen Rechnungen aufzumachen." Floridis fügte hinzu: "Es gibt keine deutlicheren Anzeichen für ein verbrauchtes politisches System."

Von Floridis heißt es, Papandreou habe ihn noch zu besänftigen versucht, einen Kabinettsposten soll er ihm in Aussicht gestellt haben. So als habe eine Kettenreaktion begonnen, trat noch ein zweiter Parlamentarier, Ektoras Nasiokas, aus der Fraktion aus. Weil die beiden Abtrünnigen aber Platz für Nachrücker machen, schrumpfte Papandreous schmale Mehrheit von fünf Sitzen in dem 300-köpfigen Parlament vorerst nicht weiter zusammen. Doch auch das spielte an diesem dramatischen Donnerstag in Athen schon kaum mehr eine Rolle.

Denn am Mittag braute sich bereits neues Unheil zusammen. Der Termin für die von Papandreou angekündigte Kabinettsumbildung verstrich denn auch erst einmal. Stattdessen berief seine Pasok-Fraktion im Parlament eine Krisensitzung ein. Zuvor hatten 35 ihrer Mitglieder einen Brief der prominenten Abgeordneten und ehemaligen EU-Kommissarin Vasso Papandreou unterzeichnet. Damit erzwangen sie die Sondersitzung. "Über alles" müsse nun geredet werden, also auch über eine neue Führung von Partei und Regierung, hatte Vasso Papandreou zuvor verkündet.

Der Regierungschef wiederum hatte am Vorabend noch eine Vertrauensabstimmung im Parlament über das rigorose Sparprogramm angekündigt. Was die sozialistische Regierung - und ihre konservativen Vorgänger - aber jahrelang selbst vom Sparen hielten, das erfahren die Bürger nun fast tagtäglich aus den Medien.

So berichtete die Zeitung Makedonia jetzt von einem Spitzenbeamten im Rathaus von Thessaloniki, der über zehn Jahre hinweg 51 Millionen Euro aus dem Stadtsäckel für private Zwecke abgezweigt haben soll. Das Geld war eigentlich für die staatliche Sozialkasse bestimmt. Die hat - was nicht minder skandalös ist - nie nachgefragt, wo die ausstehenden Beiträge bleiben.

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