Griechenland:Auf zum letzten Gefecht

Demonstrationen in Athen

Unterstützer der Kommunistischen Gewerkschaft PAME protestieren vor dem Parlament in Athen.

(Foto: dpa)
  • Seit Wochen gibt es Arbeitsniederlegungen in Griechenland - aus Protest gegen eine Gesetzesänderung.
  • Das Paket sieht unter anderem die Anpassung des Streikrechts vor.
  • Künftig sollen mehr als die Hälfte der Mitglieder einer Gewerkschaft einem Streik zustimmen müssen.

Von Luisa Seeling

Am Montag herrschte Stillstand in Athen, zumindest, was den öffentlichen Nahverkehr anging. Die Fahrer aller U-Bahnen und Busse legten für 24 Stunden die Arbeit nieder, auf vielen Straßen stauten sich die Autos. Am Nachmittag streikten auch die Fluglotsen, Inlandsflüge fielen aus oder mussten verschoben werden.

Seit Wochen gibt es Arbeitsniederlegungen, für Montag hatten mehrere Gewerkschaften erneut zum Streik aufgerufen - aus Protest gegen eine Gesetzesänderung, die am Abend das Parlament als Teil eines Reformpakets verabschiedete und das sie direkt betrifft. Das Paket sieht neben vielem anderen die Anpassung des Streikrechts vor: Künftig sollen mehr als die Hälfte der Mitglieder einer Gewerkschaft einem Streik zustimmen müssen, bisher waren es ein Fünftel bis ein Drittel, oft reichte ein Vorstandsbeschluss. 154 Abgeordnete votierten für die Reformen, 141 dagegen.

Während die Abgeordneten debattierten, demonstrierten vor dem Parlament Tausende gegen die neuen Gesetze, Dutzende Randalierer attackierten die Polizei mit Steinen, Brandflaschen und Leuchtkugeln. Die Beamten setzten Tränengas und Schlagstöcke ein. Für Gegner der Reform grenzt das neue Gesetz an Streikverbot. "Das zerstört im Grunde die einzige Waffe, die Arbeiter noch haben, um sich selbst zu schützen", zitiert die Zeitung Ekathimerini einen Gewerkschaftssprecher.

Befürworter halten dagegen, dass in kaum einem europäischen Land so viel gestreikt werde, eine Annäherung im Streikrecht an europäische Standards könne nicht schaden. Von den Änderungen betroffen sind zudem nicht die großen, nationalen Gewerkschaften, sondern regionale und Betriebsgewerkschaften. Der Zorn ist auch so groß, weil es ausgerechnet eine vorwiegend linke Regierung ist, die das Paket vorangetrieben hat. Oder, wie ihre Kritiker sagen, eine sich als links gerierende - denn linke Politik mache Premierminister Alexis Tsipras schon lange nicht mehr.

Vergangene Woche stürmten Hunderte Mitglieder der kommunistischen Gewerkschaft Pame das Arbeitsministerium, um Ressortchefin Efi Achtsioglu vor laufenden Kameras zur Rede zu stellen. Sie hörte sich die Vorwürfe an, und sagte: Nichts werde zurückgenommen. Umstritten ist das Gesetzespaket aber auch in den eigenen Reihen.

Die Koalition, aus Syriza und der kleineren rechtspopulistischen Anel, regiert seit 2015 mit nur hauchdünner Mehrheit. Das Gesetzespaket gilt als bittere Pille vor allem für Tsipras' Partei, die ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung hat. 2015 wurde sie vor allem für ihr Versprechen gewählt, die - für ihre Anhänger - ungerechte neoliberale Austeritätspolitik der Vorgänger zu beenden. Stattdessen ließ sich Tsipras auf ein drittes Hilfsprogramm ein, somit auf Einschnitte, was ihm den Ruf als Wendehals einbrachte und spektakuläre Abstürze in Umfragen.

Auch Zwangsversteigerungen sollen reformiert werden

Tsipras verteidigt das Paket als einen der letzten Schritte im Rahmen des verhassten Hilfsprogramms, das offiziell im August dieses Jahres auslaufen soll; danach will sich das Land wieder selber am Kapitalmarkt versorgen. Passiert das Gesetzespaket das Parlament, steht zunächst die Auszahlung der letzten Hilfstranche an, von etwa 4,5 Milliarden Euro. Kritiker der Vorlage versucht die Regierung zu besänftigen, indem sie auf Änderungen verweist, die den krisengeplagten Griechen etwas Erleichterung verschaffen könnten: So sollen etwa 300 000 Familien von Kindergelderhöhung profitieren, auch der Schutz von Angestellten, deren Firma pleite geht, soll besser werden.

Die größten Aufreger aber bleiben das Streikrecht sowie ein Gesetz, wonach von Mai an Zwangsversteigerungen von Immobilien nur noch elektronisch stattfinden sollen. Griechenlands Banken sitzen auf Tausenden faulen Krediten, die Regierung geht das Problem seit einiger Zeit offensiver an. Immer wieder kam es bei Zwangsversteigerungen zu hässlichen Szenen, wurden Richter und Notare angegriffen; die Online-Abwicklung soll das verhindern. Doch viele befürchten, dass die Zahl dann noch mehr zunimmt.

Tsipras beteuert, es gehe nun aufwärts, die Wirtschaft erhole sich. Ein paar Gründe für zaghaften Optimismus gibt es: bescheidenes Wachstum, leicht gesunkene Arbeitslosigkeit. Doch bis der Aufschwung bei den Menschen ankommt, dürfte es noch dauern. Zumal das Land auch nach dem Ausstieg aus dem Hilfsprogramm noch auf einem Berg von Schulden sitzen wird. "Psychologisch allerdings", sagt Ulrich Storck, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen, "wäre der Ausstieg ein starkes Signal, das sich auch politisch nutzen lassen würde." Bei dem umfangreichen Gesetzespaket gehe es nicht um Einzelinteressen, "sondern letztlich darum, ob diese Regierung es schafft, den Weg für den Ausstieg aus dem Hilfsprogramm freizumachen". Das könnte Tsipras, dem ungeliebten Premier, noch Rückenwind verschaffen - für die nächste Wahl, die regulär 2019 ansteht.

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