Gorleben:Kanzleramt des Helmut Kohl half Atom-Freunden

Erkenntnisse über frisierte Gutachten könnten dazu führen, dass das Endlager in Gorleben keine Zukunft mehr hat.

M. Bauchmüller und W. Roth

Kommenden Samstag will die bäuerliche Notgemeinschaft noch einmal loslegen. Punkt zwei Uhr in Gorleben, mit einer "grandiosen Kundgebung" direkt beim geplanten Endlager - so jedenfalls will es die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg.

Gorleben: Ein Spezialfahrzeug in über 800 Metern Tiefe. Ob das Gorleben als Endlager Zukunft hat, darf bezweifelt werden.

Ein Spezialfahrzeug in über 800 Metern Tiefe. Ob das Gorleben als Endlager Zukunft hat, darf bezweifelt werden.

(Foto: Foto: dpa)

Ein Treck von Gorleben-Gegnern soll dann nach Berlin ziehen, Ankunft dort: Am 5. September, zur großen Anti-Atom-Demonstration. Selten zogen die Gegner des Endlagers so zuversichtlich in die Hauptstadt. Denn die Planungen für das Endlager geraten unter Druck.

Etwa durch zwei Dokumente aus dem Jahr 1983, welche die Frankfurter Rundschau am Dienstag veröffentlichte. Papier Nummer eins, verfasst von Experten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), ist als Entwurf ausgewiesen und enthält eine erste Bewertung der vier Jahre zuvor begonnenen Tiefbohrungen.

Handschriftlich ist vermerkt: "Am 5.5.83 mit BGR und DBE diskutiert." Die Abkürzungen bezeichnen die "Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe" sowie die "Deutsche Gesellschaft für den Bau und Betrieb von Endlagern", die das Projekt Gorleben im Auftrag des Bundes betreibt.

Was da diskutiert wurde, war brisant. Da ist die Rede davon, dass die tonigen Sedimente über den zentralen Teilen des Salzstocks nicht ausreichen würden, um "Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre zurückzuhalten". Kontaminationen - das sind in diesem Fall radioaktive Substanzen, die in Kontakt mit dem Grundwasser kommen könnten.

Die Frage, ob die Mängel der natürlichen Barrieren durch technische Vorkehrungen und zu vertretbaren Kosten ausgeglichen werden könnten, ließen die Wissenschaftler offen. Dies, so steht es in dem Papier, könne nur beurteilt werden, wenn Vergleichsdaten von anderen Standorten vorlägen. Abschließend heißt es: "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es nicht möglich, die Barrierewirkung des Deckgebirges am Standort Gorleben abschließend zu bewerten."

Seltsamerweise tauchen manche solcher kritischen Passagen nicht mehr in dem Zwischenbericht vom 6. Mai 1983 auf. Mehr noch: Als Ergebnis wird nun festgehalten, die bisherigen Erkenntnisse hätten "voll bestätigt", dass der Salzstock als Endlager geeignet sei.

Eine Erklärung lieferte der damalige PTB-Abteilungsleiter Helmut Röthemeyer unlängst in einem Gespräch mit der taz. Danach seien am 5. Mai überraschend Vertreter des Kanzleramts und des Forschungsministeriums erschienen. Diese hätten darauf gedrungen, erklärte zumindest Röthemeyer, entscheidende Teile der Expertise abzuändern. Es wird das Bemühen deutlich, jeden Zweifel zu vermeiden, der dazu führen könnte, andere Standorte für den hoch- radioaktiven Abfall zu erkunden. Möglicherweise wären aber andere Gesteinsformationen besser geeignet.

Kriterien für ein im Ergebnis offenes und in jeder Hinsicht transparentes Auswahlverfahren hatte unter der rot-grünen Regierung ein Arbeitskreis Endlager (AK End) entwickelt. Es blieb aber bei dieser Vorarbeit, weil sowohl die Energiekonzerne als auch die Union jeden weiteren Schritt vermeiden wollten, der Gorleben in Frage stellen könnte.

Ein Endlagersuchgesetz des grünen Umweltministers Jürgen Trittin ging 2005 sang- und klanglos unter, ebenso ein Vorstoß seines Nachfolgers Sigmar Gabriel von der SPD. Seit zehn Jahren ist die Endlagerung offen, und es gibt nach wie vor nur ein Projekt - Gorleben.

Weitere Munition für dessen Gegner liefert diese Woche der Kieler Diplom-Geologe Ulrich Schneider, dessen Studie am Montag von der Fraktion der Linken im niedersächsischen Landtag vorgestellt wurde. Sein Resümee: "Es gibt keine Langzeitsicherheit für das Endlager Gorleben." Über das Deckgebirge dringe Wasser in die Salzschichten ein, das radioaktive Inventar sei deshalb nicht auf Dauer unter Verschluss. Schneider bemängelt Widersprüche und Fehler in der Auswertung der Fakten, wodurch das Vertrauen in eine seriöse Bearbeitung erheblich geschmälert werde.

Dass nicht nur fachliche Gründe für Gorleben sprachen, war nie ein Geheimnis... Lesen Sie mehr auf der nächsten Seite.

So unsicher wie heute war es nie

Zwar waren etliche Geologen von der Sicherheit eines bis dahin unberührten Salzstocks so überzeugt, dass eine Unterbringung in Granit- oder Ton-Formationen nicht mehr attraktiv erschien. Inzwischen haben allerdings viele Länder neue Erkenntnisse bei der Erkundung solcher Endlager gesammelt.

Der vom Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) geführten Regierung in Hannover erschien die Region aber auch aus anderen Gründen als attraktiv. Das Wendland ist dünn besiedelt, seine Kommunalpolitiker schienen empfänglich zu sein für Hilfen jeder Art. Durch die Nähe zur DDR galt die Gegend ohnehin als strukturschwach.

Ein Standort nahe der Zonengrenze

Der Geologe Gerd Lüttig, der in den siebziger Jahren die Salzstöcke im Norden grob auf ihre Eignung untersuchte, unterstellte Albrecht unlängst in einem Interview auch Rachegefühle gegenüber der DDR: "Er wollte einen Standort in der Nähe der damaligen Zonengrenze haben, weil die Ostzonalen uns die Geschichte mit ihrem Endlager Morsleben eingebrockt hatten."

Nach Lüttigs Darstellung war Gorleben nicht unter den drei Standorten, die die Gutachter zur Erkundung vorgeschlagen hätten. Der Salzstock habe aber trotzdem den Zuschlag bekommen, weil er relativ groß war. Rückblickend ist das plausibel, weil die Kernenergie als große Hoffnung für die Versorgung der Zukunft galt und ein Endlager für alle möglichen Arten der radioaktiven Abfälle gesucht wurde.

Doch seitdem mit dem Schacht Konrad bei Salzgitter ein Endlager für schwach- und mittelaktiven Müll gebaut wird, sind die Mengen für Gorleben überschaubar: Sie betragen nur noch fünf Prozent der ursprünglich veranschlagten Volumina - wenn auch strahlend für Hunderttausende Jahre.

Die Rechte zur Erkundung laufen 2015 aus

Was mit Gorleben geschehen soll, muss sich nun bald entscheiden. Derzeit unterliegt das Endlager einem Moratorium, festgelegt im rot-grünen Atomkonsens. Es endet spätestens im Herbst 2010, im Falle einer schwarz-gelben Koalition vielleicht eher. Doch schon wächst das nächste Problem heran: Die Rechte zur Erkundung des Salzstocks, die sich die Vorläuferin des Bundesamts für Strahlenschutz bei den Bauern der Region gesichert hatte, laufen 2015 aus.

Sollten die Landwirte sie nicht verlängern, stehen die Arbeiten vor dem Aus - es sei denn, sie lassen sich zügig abschließen. Das aber wird schwierig. Jede kleine Verzögerung, jede neue Zweifelsfrage, jede verwaltungstechnische Hürde kann die Erkundung noch verzögern, über das neuralgische Datum hinaus. Seit 1977 werkelt der Bund am Endlager-Projekt Gorleben. So unsicher wie heute war es nie.

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