Katar:Milch kaufen als patriotischer Akt

Cows are seen at Baladna farm near Al Khor

Die klimatisierte Halle der Baladna-Farm in Katar ist das neue Zuhause der aus den USA importierten Rinder. Ende April soll das Emirat bei Molkerei-Produkten autark sein - kurz vor dem Fastenmonat Ramadan.

(Foto: Naseem Zeitoon/Reuters)
  • Das Emirat Katar möchte nach dem Boykott durch Saudi-Arabien und andere Nachbarstaaten weniger Lebensmittel importieren.
  • Ende April soll Katar autark sein bei Molkerei-Produkten, rechtzeitig zum Fastenmonat Ramadan.
  • Politisch bemüht sich das Emirat, seine internationalen Verbindungen zu pflegen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Katar ist ein Wüsten-Eiland im Persischen Golf. Das saftige Grün einer Weide werden die 3400 schwarzbunten Holsteiner nie sehen, die am Wochenende an Bord der Queensland den Hafen von Doha erreichten. Das neue Zuhause der Hochleistungsmilchkühe aus Amerika sind die Hightech-Ställe der Baladna-Farm, 50 Kilometer nördlich bei al-Khor. In klimatisierten Leichtbauhallen werden sie neben Artgenossen stehen, die Katar eingeflogen hatte, als die Nachbarn Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Bahrain zusammen mit Ägypten im Juni 2017 die Grenze dichtmachten und einen Boykott gegen das kleine Emirat verhängten.

Die Herde soll auf 25 000 Tiere wachsen, mit seinen automatischen Melk-Karussells wird Baladna zum größten Milchproduzenten der Region aufsteigen, zu einem der größten Rinderhalter weltweit. Ende April soll Katar autark sein bei Molkerei-Produkten, rechtzeitig zum Fastenmonat Ramadan. Das ist auch eine hoch symbolische Frist: Verzichten gläubige Muslime von Sonnenaufgang an selbst auf Wasser, darf es beim Fastenbrechen mit Sonnenuntergang beginnend an nichts fehlen. Der Ramadan ist zugleich der Monat des Überflusses, vor allem in den reichen Golfstaaten. Es wird im Kreise der Familie getafelt, oft bis der nächste Morgen anbricht.

Ohne Einfuhren kommt Katar auch weiter nicht aus; jahrelang wurden fast alle Lebensmittel über Saudi-Arabien importiert. Aber die Regierung hat am Mittwoch einen Fünfjahresplan vorgestellt, mit dem das Emirat unabhängiger werden soll bei der Grundversorgung der 2,7 Millionen Bewohner, von denen nur etwa 300 000 Katarer sind. Ein Drittel des Fleisches und zwei Drittel des Fischs sollen bis 2022 im Land produziert werden, dem Jahr der Fußballweltmeisterschaft. Katar zieht damit die Konsequenzen aus der Krise: Die Integration der Volkswirtschaften im Golfkooperationsrat hat dem Land nicht Schutz gebracht, wie die Befürworter des Modells propagierten, sondern das Emirat abhängig und verwundbar gemacht. Überdies richtet man sich in Doha darauf ein, dass die Blockade noch lange dauern könnte.

Die Positionen sind verhärtet nach neun Monaten der Krise, alle Vermittlungsversuche Kuwaits und der USA vorerst gescheitert. Direkte Kontakte zwischen den Konfliktparteien gibt es nicht, wie die Außenminister Katars und Saudi-Arabiens der Süddeutschen Zeitung bestätigten.

"Der einzige Weg aus der Krise ist, sich an den Verhandlungstisch zu setzen", sagt Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, Katars Außenminister. "Wenn die Boykott-Staaten darauf bestehen, dass wir unsere Souveränität und Unabhängigkeit aufgeben, wird es keinen Fortschritt geben." Im Dezember sah es zeitweise so aus, als könne es Dialog geben: Kuwait, das von beiden Seiten als Vermittler akzeptiert war, richtete das jährliche Gipfeltreffen des Golfkooperationsrates aus. Katars Emir Tamim bin Hamad al-Thani reiste an; Saudi-Arabien und die Emirate aber schickten nur ihren Außenminister und einen Staatsminister. Zugleich verkündeten sie eine neue Allianz zwischen ihren Ländern. Der zweite Gipfeltag fiel aus, neben den Katarern war auch der Emir von Kuwait brüskiert.

Saudi-Arabiens Außenminister Adel al-Jubeir hält dem entgegen: "Die Katarer wissen, was sie tun müssen, und wir warten darauf, dass sie es tun." Einen 13-Punkte-Katalog mit Forderungen hat Riad zusammen mit den Emiraten, Bahrain und Ägypten vorgelegt, den selbst wohlmeinende westliche Diplomaten als weitgehenden Eingriff in die Souveränität Katars werten. "Keine Unterstützung für Terroristen, für Terror-Finanzierer, für Hassprediger und Extremisten", forderet Jubeir. Übersetzt heißt das unter anderem: Keine Unterstützung mehr für die Muslimbruderschaft, die Schließung des panarabischen TV-Senders Al Jazeera, die Ausweisung von in Doha im Exil lebenden Regierungsgegnern aus den Nachbarländern oder die Einschränkung der Beziehungen zu Iran.

Dem wird sich Doha nicht beugen. "Die Blockade ist gescheitert", sagt Minister al-Thani, "sie hat unser Land nicht in die Unterwerfung gezwungen." Sie hat Katar wirtschaftlich schwer geschadet, aber selbst dieser Effekt lässt laut dem Internationalen Währungsfonds nach. Er prognostiziert Katar für dieses Jahr 2,6 Prozent Wachstum, das Budgetdefizit soll nach 9,2 Prozent in 2017 auf sechs Prozent zurückgehen, die Devisenreserven der Zentralbank stiegen um 2,9 Milliarden Dollar auf 17,7 Milliarden - dank der verbesserten Handelsbilanz, also sinkender Importe.

"Die Blockade ist gescheitert"

Politisch bemüht sich das Emirat, seine internationalen Verbindungen zu pflegen: Der Emir reiste nach Deutschland, nahm an der Münchner Sicherheitskonferenz teil, zuvor richteten US-Verteidigungsminister James Mattis und der inzwischen von Präsident Donald Trump geschasste Außenminister Rex Tillerson einen "strategischen Dialog" mit Katar in Washington aus. In Doha sah man sich einmal mehr bestätigt darin, dass die Stationierung von 12 000 US-Soldaten und des US-Kommandozentrums für den ganzen Nahen Osten auf dem Luftwaffenstützpunkt al-Udeid einer Lebensversicherung gleichkommt.

Eine Eskalation in eine militärische Auseinandersetzung fürchtet Außenminister al-Thani denn auch nicht, obschon es "fortlaufend Provokationen" gebe. Im Januar beschwerte sich Doha bei den UN über Luftraumverletzungen durch emiratische Kampfjets, Abu Dhabi warf Katar daraufhin vor, einen Passagierjet abgefangen zu haben. Vergangene Woche beschuldigte Katar die Emirate, ein Fischerboot mit vorgehaltenen Waffen entführt zu haben.

Solche Scharmützel gibt es regelmäßig, zudem liefern sich die verfeindeten Staaten eine PR-Schlacht. E-Mail-Konten von Diplomaten und offizielle Internetseiten werden gehackt, Informationen gestreut, um die Gegenseite zu diskreditieren. Hochbezahlte Lobbyisten antichambrieren in westlichen Hauptstädten. Nirgends wird der Kampf um die Gunst der Regierung so hart ausgetragen wie in Washington.

Katar und die USA unterzeichneten eine Vereinbarung mit den USA, strenger gegen verdächtige Finanztransaktionen vorzugehen - ein Versuch Tillersons, Brücken zu bauen. Doch Jubeir wertet das als Schuldanerkenntnis: "Wenn Katar kein Problem hat, wie sie behaupten, warum schließen sie dann eine solche Vereinbarung?", fragt er. "Warum haben sie ihre Gesetze geändert, die Finanzierung für die palästinensische Hamas gestoppt?"

Die Lösung sollte eine Reihe von Besuchen gekrönter Häupter im Weißen Haus bringen: Saudi-Arabiens Thronfolger Mohammed bin Salman, sein emiratischer Kollege Mohammed bin Zayed und der Emir von Katar werden dort im April erwartet, nachdem sich Trump bereit erklärt hatte, persönlich zu vermitteln. Eingefädelt hatte das Tillerson, der noch aus seinen Exxon-Zeiten enge Beziehungen nach Katar und in die Golfregion hat. Ob nach dem Revirement im Außenministerium diese Planung noch steht, ist offen. Abu Dhabi ist höchst erfreut über die Ernennung von CIA-Chef Mike Pompeo.

In Katar ist indes die Baladna-Farm, um einen Freizeitpark erweitert, zum beliebten Ausflugsziel geworden, der Kauf von Milchprodukten zum patriotischen Akt. Und die Kühe zum neuen Symbol des Widerstands gegen die mächtigen Nachbarn.

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