Golanhöhen:"Normalerweise ist das der ruhigste Ort der Welt"

In einem Kibbuz auf den Golanhöhen versuchen die israelischen Bewohner, Vertrauen in ihre Armee zu haben. Diese schickt Irans Regime eine Botschaft in Form von Bomben.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Ein Ziwan, und Paul-Anton Krüger, Kairo

David Spellman hat in der Nacht zum Donnerstag zwei SMS bekommen: In der um 0.10 Uhr steht, dass es Raketenalarm gebe. In der um 6 Uhr früh heißt es, dass die Schulen normal geöffnet haben. "Wir sind gut vorbereitet und vernetzt", sagt der gebürtige Engländer, der seit 1968 in Ein Ziwan lebt - kein Kibbuz auf den von Israel besetzten Golanhöhen ist der Grenze zu Syrien näher. "Normalerweise ist das der ruhigste Ort der Welt", versichert Spellman, räumt dann aber ein: "Na ja, diese Nacht habe ich nicht so gut geschlafen." Aber in den Schutzraum ist er nicht gegangen, andere schon. Fast jedes Haus in der Anlage hat einen, alles ist für den Ernstfall vorbereitet: Nahrungsmittel etwa und Notbetten.

Neu sei, dass öffentlich die Aufforderung kam, die Schutzräume zu öffnen, sagt Spellman. Nicht einmal 2006 während des Krieges zwischen Israel und Libanon habe es das gegeben. Auf dem Kibbuzgelände, wo 120 Familien leben, gibt es auch größere Bunker, die von außen wie ein normales Gebäude aussehen und sogar eine Hausnummer haben. In einem sind die Reste einer Party zu sehen: Bierdosen auf einem Tisch, an der Wand lehnt eine Gitarre. Normalerweise probt hier eine Popband. Im größten Schutzraum neben dem Essenssaal ist eine Kommandozentrale eingerichtet: Hier halten derzeit rund um die Uhr ein Vertreter der Armee, der Region und des Kibbuz Wache, um rasch Entscheidungen treffen zu können. "Wir haben sehr viel Vertrauen in diese Leute", sagt Spellman.

Aber außerhalb der Kibbuz-Welt ist vieles anders. Auf der Straßenseite gegenüber ist ein Armeefahrzeug postiert. Ein Tieflader nach dem anderen brachte in den vergangenen Tagen Panzer aus anderen Militärstützpunkten des Landes hierher. Die Zufahrt zum 1171 Meter hohen Berg Bental, einem beliebten Ausflugsziel, haben Soldaten gesperrt. Abgeriegelt ist auch der Parkplatz bei Ein Ziwan, wo man der syrischen Stadt Quneitra am nächsten ist. Ein junger Soldat warnt Spellman, es sei gefährlich, sich hier aufzuhalten - nicht ohne Grund.

In der Nacht waren über den Golanhöhen Lichtreflexionen am Himmel zu sehen, die auf Raketen hindeuteten. Der monatelange Schattenkrieg zwischen Iran und Israel in Syrien ist so heftig wie noch nie in eine direkte Konfrontation umgeschlagen. Um 1.10 Uhr bittet Armeesprecher Jonathan Conricus Journalisten zum Gespräch. 20 Raketen seien von iranischen Stellungen auf israelische Militärstützpunkte abgefeuert worden. Verantwortlich seien dafür die Al-Quds-Brigaden.

Er spricht von jener Einheit der iranischen Revolutionsgarden, die für Auslandseinsätze zuständig ist. Sie kämpft in Syrien offiziell auf der Seite des Regimes von Baschar al-Assad im Bürgerkrieg. Aber schon länger verfolgt Iran dort wesentlich weiterreichende, strategische Ziele. General Qassem Soleimani, der legendäre Quds-Kommandeur, errichtet mit Assads Billigung eine auf Dauer angelegte Militärpräsenz, ein Netzwerk von Stützpunkten - direkt an der Grenze des Erzfeindes Israel, dessen baldige Zerstörung Irans Oberster Führer Ali Chamenei immer wieder beschwört.

Israels Verteidigungsminister: "Hoffe, wir haben dieses Kapitel beendet"

Außerdem baut Soleimani an einer Landverbindung von Iran durch den Irak nach Syrien und weiter bis nach Libanon - eine Nachschubroute und strategische Tiefe für die von Iran gesteuerte Hisbollah, die sich mit Israel zuletzt 2006 einen Krieg geliefert hat. Ein neuer Waffengang, diesmal mit direkter Beteiligung Irans, wurde angesichts der Eskalation der vergangenen Wochen wahrscheinlicher, immer wieder flog Israel Luftangriffe - die Iraner versuchten offenbar, Raketen in Stellung zu bringen.

Als um 6.20 Uhr der israelische Armee-Sprecher ausführlichere Informationen bekannt gibt, wird das Ausmaß der Eskalation klar: Die Luftwaffe hat Dutzende iranische Stellungen in Syrien bombardiert, als Vergeltung für den Raketenbeschuss. Auch seien fünf syrische Luftabwehrbatterien zerstört worden. Es waren die heftigsten Angriffe auf Ziele in Syrien seit Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens im Jahr 1974, sagt er. Nach Angaben Russlands, das von Israel vorab informiert worden war, feuerten 28 israelische Kampfjets insgesamt 70 Raketen ab. Premier Benjamin Netanjahu hatte am Mittwoch in Moskau noch mit Präsident Wladimir Putin über die Lage in Syrien beraten.

Entschärfen konnte oder wollte der Kreml die Situation offenkundig nicht. Und so flogen die Raketen von Stellungen bei Damaskus und in der Umgebung der grenznahen Dörfer Khader und Khan Arnabah Richtung Israel. Das Abwehrsystem Iron Dome (Eisenkuppel) fing laut israelischem Militär vier der iranischen Geschosse ab, der Rest ging auf syrischem Gebiet nieder. Benutzt worden seien Raketen der Typen Grad und Fajr-5.

Der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman sagt, der Gegenschlag habe fast die gesamte militärische Infrastruktur Irans in Syrien getroffen. "Ich hoffe, wir haben dieses Kapitel beendet und jeder hat die Botschaft verstanden." Ziel waren laut Armee zum Beispiel ein zuvor schon bombardierter Stützpunkt der Revolutionsgarden in Kisweh bei Damaskus und Lagerhallen am internationalen Flughafen der Hauptstadt, in denen Iran Waffen umschlagen soll. Getroffen wurden auch Stellungen in der demilitarisierten Zone auf den Golanhöhen, Waffenlager und Geheimdiensteinrichtungen.

In Teheran gab es zunächst keine offizielle Reaktion. Staatsnahe Medien zitierten die syrische Nachrichtenagentur Sana, die Armee habe "eine israelische Aggression abgewehrt" und Dutzende Raketen abgefangen. Kein Wort jedoch von iranischen Opfern oder Stützpunkten, die getroffen wurden. Doch wird Iran trotz des Schweigens diesen Angriff kaum unbeantwortet lassen.

In Ein Ziwan war man am Donnerstag bestrebt, den Alltag normal weiterzuführen. Das geplante Fest mit Tänzen von Kindern auf dem Kibbuzgelände fand statt, die Weinhandlung, das Schokoladengeschäft waren geöffnet. Und das Einfahrtstor zum Kibbuz stand offen, wie sonst auch während der Tageszeit. Die Ruhe aber könnte sich schon bald wieder als trügerisch erweisen.

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