Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) In unruhigen Nächten stellt man sich manchmal vor, man gehöre der Darmstädter Jury an, die Jahr für Jahr das Unwort des Jahres auszuwählen hat. Dann säße man mit sechs oder sieben Männern und Frauen vor einem dunklen, faulig riechenden Sprachteich und wartete darauf, dass das Unwort mit bösem Grunzen aus der Tiefe fährt. Im Traum sieht man gerade noch das Blubbern des aufsteigenden Unworts, dann ist man schon wach und beseelt von Glück, dass man dieser Jury nicht angehört, dass man überhaupt keiner Jury angehört. Bevor man noch einmal einschläft, legt man den heiligen Eid ab, überhaupt niemals irgendeiner Jury angehören zu wollen. Jurys sind spätmoderne Standgerichte des Ruhms - sie küren Preisträger und beschweren deren Arbeit mit einer Trophäe, die oft mehr Hypothek ist als Gewinn. Oder sie wählen Wörter aus, anhand derer man, so glauben sie, ablesen könne, wie elend es um unsere Welt bestellt ist.

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