Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Pseudonyme haben einen ähnlichen Ruf wie alte Schlafzimmer, man verspürt immer das Bedürfnis, sie zu lüften. Wer so heißen darf, wie er gerne heißen möchte, hat sein Leben mit dem zarten Schleier einer verzauberten Identität verhängt. Und weil alles, was verschleiert ist, in der Welt der klaren Verhältnisse auf Skepsis trifft, muss der Schleier ab, und irgendwie kriegt man ihn auch immer entfernt. Ein paar Leseratten erinnern sich vielleicht noch an das Jahr 1919, als der junge, todkranke Dichter Emil Sinclair für sein Romandebüt "Demian" den Fontane-Preis zugesprochen bekam. Eine eigentümliche Stimmung lag damals auf dem Land, alle lasen das Buch, niemand kannte den Autor; aber es würde schon alles seine Richtigkeit haben, das Buch war ja bei S. Fischer erschienen. Dann setzten sich ein paar Leute zusammen und meinten, aus dem Erstling Sinclairs das Aroma der Prosa von Hermann Hesse herauszuschmecken. Ein Volltreffer! Hesse gab alles zu, gab den Preis zurück und gab seine Versuche, ein anderer zu werden, endgültig auf.

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