Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Was die Erfahrung lehrt, bringen die geflügelten Worte auf den Punkt, das aber nur "im Prinzip", also unter Ausschluss der statistischen Ausreißer. Nicht jede Axt im Haus erspart den Zimmermann, die Welt wird keineswegs schöner mit jedem Tag, und wer einen Gaul geschenkt bekommt, sollte ihm vorsichtshalber sofort ins Maul schauen. Dass, wie Reinhard Mey einst so schön sang, der Mörder immer der Gärtner sei, lässt sich mit der Verbrecherstatistik widerlegen; trotzdem ist aus der Liedzeile ein Bonmot geworden. Vergleichbar hartnäckig hält sich die fast schon redensartlich anmutende Unterstellung, dass Kunstfrevel immer von Putzfrauen verübt würden. Tatsächlich ist deren Quote erstaunlich hoch, was aber auch an den betroffenen Werken liegen könnte, die listig, ja fast hinterlistig zum Weggeputztwerden einladen, um so - was sonst? - auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. Die Kunst selbst hat auf solche Frevel bisher nicht reagiert, doch nun ist erstmals eine Oper daraus erwachsen.

Es sieht ganz danach aus, als wäre das, rund achtzig Jahre nach Paul Hindemiths "Mathis der Maler", die zweite zeitgenössische Oper über die Malerei und deren geheimnisvoll verschlungene Wege. Thema des nagelneuen Werks ist eine Geschichte, die sich vor vier Jahren in der spanischen Kleinstadt Borja ereignete. Dort hatte die Rentnerin Cecilia Giménez es nicht länger mitansehen können, wie das Ecce-Homo-Bild im Santuario de Misericordia verfiel. In einem Akt künstlerischer Selbstermächtigung griff sie zum Pinsel und verwandelte den leidenden Jesus in ein putziges äffchengleiches Wesen, das alsbald den Spott der Welt auf sich zog. Das Fresko, ohnedies keine Perle der Wandmalerei, war gründlich ruiniert, aber weil es - auch das ein geflügeltes Wort - keinen Schaden ohne Nutzen gibt, erlebte der Ort Borja einen Touristenboom, dessen möglicherweise dubiose Motive man angesichts der materiellen Vorteile leicht vergessen kann.

Die neue Oper, die jetzt im Beisein ihrer Heldin in Auszügen vorgestellt wurde, hat den Titel "Behold the man"; die von Paul Fowler komponierte Musik ist laut Librettist Andrew Flack eine Mischung aus Bach, Gregorianik und Stücken, die nach Lady Gaga und Frank Sinatra klingen. Scheint nicht schlecht zum Sujet zu passen und könnte hiesige Musikdramatiker dazu ermutigen, nun endlich an vergleichbare Ereignisse aus der Heimat zu gehen. Naturgemäß bietet sich dazu Joseph Beuys an, aus dessen Œuvre einst eine verfremdete Badewanne in die Hände naiver Damen fiel, ein Frevel, für den man rasch und mit bis heute andauernder Wirkung Putzfrauen verantwortlich machte. Wenn das kein Stoff für die Oper ist! Man könnte das Werk bei den Salzburger Festspielen herausbringen, mit Anna Netrebko in der Hauptrolle. Sie soll in jungen Jahren am Mariinsky-Theater als Putzfrau gejobbt haben.

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