Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Unter all den Wesen, die dem Leben einen höheren Sinn unterstellen, ist der Single das am meisten zerrissene. Wenn nicht gerade irgendein glücklicher Nicht-Single auf ihn einredet, bekriegen sich in seinem Kopf zwei Stimmen. Zum einen die streberhafte Spaßstimme, sie plärrt: Los, du Memme, schieß dich mal ordentlich ab, freitags tanzen mit den anderen übrig Gebliebenen, am Samstag eine dieser Menschenattrappen aus dem Internet daten und wenn dann wirklich mal jemand mit nach Hause kommt, ganz schnell wieder zur Türe bitten - was gibt es Besseres als ein Spiel ohne Nachspiel? Der bindungsblöde und freiheitsfröhliche Single tat also, wie ihm geheißen, und es war gar nicht mal schlecht. Er trank so viel, dass sein Filmriss länger als das ganze Wochenende war, nur an eines konnte er sich mit Sicherheit erinnern: Er hatte garantiert niemanden kennengelernt. Das war auch gut so, denn nun konnte er in der Netflix-Einsamkeit schwelgen und sich in Ruhe die Fußnägel schneiden. Aber da plärrte es wieder in seinem Kopf, diesmal mehr onkel- als animateurinnenhaft, aber nicht minder deutlich: Es ist Sonntag, du Pfeife, und du bist immer noch allein. So schnell Sonntag geworden war, so schnell kippte die narzisstische Single-Schaukel. Und dem eben noch von sich selbst Berauschten wurde klar: Er war der seelisch Obdachlose - und die Paare waren die Großgrundbesitzer des Herzens.

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