Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Wenn einen keiner kennt oder alle einen doof finden, dann wird es Zeit für eine Imagekampagne. Auf besonders tragische Weise hat sich in diesem Zusammenhang das Bundesland Sachsen verrechnet, welches erst keiner kannte und jetzt alle doof finden. Sachsen wollte der Welt zuwinken, es wollte ihr seine Reichtümer zeigen, die es als gnadenlos unterschätzt empfand: Erfindergeist und Arbeitseifer, Hochkultur und eine lebensnahe Schläue. All das sollte beklingelt werden, also ersannen vorgebliche Werbefachleute einen klammernden Satz, um diese Fertigkeiten für sich und das Land zu reklamieren. "So geht Sächsisch", lautete dieser Satz. Vor dem Sächsischen fingen allerdings die Sachsen an zu gehen, und zwar immer montags, weil sie Land, Leib und Leben durch Volksgruppen bedroht sahen, die sie zwar nicht kannten, aber doof fanden. Die Sachsen gehen immer noch, deswegen hat das Land vor Kurzem die Imagekampagne auf kleinere Flamme gesetzt.

Die Werbefachleute empfehlen jetzt, eine völlig neue Kampagne aufzusetzen, nicht zuletzt würden dadurch ja Arbeitsplätze gesichert, etwa in der Werbebranche. Und tatsächlich läge in einem neuen Anfang zumindest die Chance, eine bestimmte Stärke der Sachsen herauszuarbeiten, die bislang nicht Teil des Konzepts gewesen ist, nämlich ihre Sprache. Die meisten Nichtsachsen glauben, den sächsischen Dialekt zu kennen, und noch mehr finden ihn doof. Richtig aber ist, dass das sächsische Idiom als bedroht gilt und damit eine wichtige Voraussetzung erfüllt, überhaupt gemocht zu werden. Wer in seiner Existenz gefährdet ist, kann auf wenig bauen, aber immerhin auf das hilflose Mitleid der Allgemeinheit. Das war bei den Eisbären so, und auch beim HSV. Selbst der FDP blieben ein paar Tränen des Anstands nicht verwehrt, überall wurde geweint, auch in Sachsen, nur nannte man es dort "fänzn". Was nun das Sächsische im Allgemeinen betrifft, ist der Ilse-Bähnert-Stiftung zu danken. Seit 2008 kürt sie die sächsischen Wörter des Jahres. Es ist kein Zufall, dass neben dem schönsten und beliebtesten stets auch das am meisten bedrohte Wort ausgezeichnet wird. In diesem Jahr fiel die Wahl auf "Eiforbibbsch!", über dessen Schreibweise und Herkunft es so viele Theorien gibt wie über seine Bedeutung. Eiforbibbsch ist ein Ausruf der Verwunderung, zuweilen zornig vorgetragen, in seinem Wesen aber nicht bitter. Wenn überhaupt, dann ist Eiforbibbsch die "Reduzierung eines Fluchs", sagte der Kabarettist Tom Pauls in seiner Laudatio.

In der Auszeichnung ist nichts geringeres als eine Mahnung zu erkennen. Die Ironie wäre eine qualvolle, ginge das prämierte Wort eines Tages endgültig verloren: Sein Aussterben zu beklagen, hieße, es zu gebrauchen, was wiederum hieße, es doch nicht aussterben zu lassen. Es wäre kompliziert. Und es wäre zum Fänzn.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: