Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Einer der größten Vollidioten der Kultur- und Menschheitsgeschichte feiert am morgigen Dienstag seinen 85. Geburtstag. Solche Nachrichten sind in einer mit Masterminds bis zum Kollaps bevölkerten Welt so selten wie die Entdeckung eines neuen Planeten. Sonst feiern ja immer nur solche Männer dieses stolze Jubiläum, die uns normal Denkende mit großen Reflexionspanoramen und verwegenen Staatstheorien Staunen und Demut abnötigen. Hans Magnus Enzensberger, George Soros, Ernst Tugendhat - so heißen die großen klugen 85-Jährigen unserer Gegenwart; ihren Mündern entspringen erhellende und unterhaltende Bonmots. Und dasjenige, was sie tun, ist geeignet, ihnen darin nachzueifern. Wir verneigen uns in Bewunderung und wünschen ihnen noch viele gute Tage und Ideen, die uns Aufschlüsse über unsere Gegenwart respektive Aussichten über die nähere Zukunft schenken. Aber neben der Bewunderung schleicht das Unbehagen wie ein kurzschwänziger lächerlicher Schatten einher: Diese großen Männer sind leider nicht wie wir. Ihnen geschehen keine Missgeschicke, wenigstens sind uns keine bekannt. Mag sein, dass sie sich hier und da geirrt haben, aber selbst ihre Irrtümer stehen auf einem Niveau, auf das wir nicht einmal die seltenen Augenblicke unseres Rechthabens platzieren können.

Wie schön, wie erleichternd und wie entspannend ist dagegen der Ehrentag dieses blöden Hundes, den wir morgen feiern wollen. Am 18. August 1930 erblickte Pluto - und diese abgeschabte Wendung erfährt in seinem Zusammenhang Berechtigung und Wahrhaftigkeit: das Licht der Welt. Denn Pluto, der große dumme Hund von Walt Disney, lief an diesem Tag zum ersten Mal über die helle Leinwand eines Kinos. Der Seriosität halber gehört es sich einzuräumen, dass Pluto in "The Chain Gang" als Bluthund auftrat, dumm und leider auch böse. Seine mit rührendem Liebreiz allzu leicht verwechselbare Dämlichkeit führte er dann im nächsten Film, "The Picnic", zu erster Reife. Hier erleben wir Pluto bereits auf der Höhe seines Idiotentums und zugleich als großen Liebenden, der seiner Freundin Dinah mit allerlei charmanten Tölpeleien einen Kuss abzunötigen sucht.

Der große Erasmus von Rotterdam war klug genug, in einer seiner seeklaren Schriften der Torheit selbst das Wort zu überlassen, und die Torheit spricht wie folgt: "Es bleibt dabei: Mir, ja mir allein und meiner Kraft haben es Götter und Menschen zu danken, wenn sie heiter und frohgemut sind." Exakt so ist es mit den Blöden und den Klugen: Gäbe es die Ersten nicht, hätten die Zweiten nichts zu lachen. Liefe der orangefarbene Hund Pluto nicht alle Augenblicke gegen einen Bretterzaun, wäre unsere Welt von Missmut umzäunt. Und wäre es Pluto gegeben, mehr Worte zu reden als "Kiss me!" - wir hätten ja keine Ahnung, wie nahe Blödheit und Liebe einander verwandt sind.

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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