Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Trotz gelegentlicher Klagen von Gefressenen ist man dem Volk der Bären doch eigentlich recht zugetan. Die Art ihres Umherstreifens mit dickem Hintern, der schöne Brauch eines Winterschlafs nach ausgiebiger Völlerei, die Lust auf Süßkram - das alles sind angenehm nachvollziehbare Eigenschaften. Zudem hat sich der Bär auf der Kaffeemilch, als Berlin-Maskottchen und als Gottschalk-Accessoire gerade auch im deutschen Banal-Alltag einen liebenswerten Platz erkämpft. Was nun die Wissenschaft als neueste Erkenntnis zu dieser Spezies verlauten lässt, tut dieser Sympathie keinen Abbruch, im Gegenteil: Bären haben, wie süß!, Angst vor Ufos. Fliegt eines über seinem Revier, läuft der Bär zwar nicht gleich davon, aber sein Herz schlägt hoch bis zum Kragenfell, und die ganze Bärenexistenz ist ihm mit einem Mal unsicher.

Nicht anders ergeht es dem Menschen, wenn sich auf ihn vom Himmel herab Unbekanntes senkt. Nur dass er eben vielleicht erahnen kann: Aha, das ist jetzt eine von diesen Drohnen, von denen alle immer schreiben. Herzrasen hat er dann aber trotzdem, weglaufen will er am liebsten auch. Schließlich weiß er nicht, ob die Drohne nur von betrunkenen Halbstarken gesteuert wird oder von mordlüsternen Banden, ob er gerade transkontinental ausgespäht wird oder es nur das lang erwartete Paket ist, das auf diese Weise zugestellt wird? Drohne, das ist ja schon lautmalerisch immer auch ein Drohen. Man muss bedenken, der Bär kennt all diese neumodischen Ufo-Deutungen ja nicht. Er fürchtet sich trotzdem. Er möchte, dass das Ufo bitte weiterfliegt, in einen anderen Wald, zu einem anderen Bären. Jeder Bär ist sich nämlich auch selbst der Nächste. Leise zittern ihm die Teddyflanken. Die Forscher stürzt das in eine nicht unbeträchtliche Krise. Schließlich hatten sie mit den Drohnen ein feines Spielzeug entdeckt und mussten nicht mehr selbst durch unwegsame Nationalparks laufen, um nachzusehen, ob die Bären auch pünktlich aus dem Winterschlaf erwacht sind. Ja, die ganze altbackene Tierbeobachterei war wieder im Aufwind. Aber jetzt hat das dicke Tier ausgerechnet vor Ufos Angst. Und niemand möchte schuld daran sein, dass ein Bluthochdruck-Bär eines Tages vom Schreck getroffen zu Boden sinkt.

Bevor sie nun aber aufgeben und die Drohnen wieder nur über Menschenrevieren kreisen lassen, wollen die Wissenschaftler etwas ausprobieren, nämlich ob die Bären nicht vielleicht an Ufos gewöhnt werden könnten? Zu dem Zweck lassen sie jetzt Drohnen über dem Bärengehege dröhnen, und die Kardiologen messen gleichzeitig der Bären Puls. Nach ein paar Wochen, so die Hoffnung, sind die Tiere diesbezüglich abgestumpft und regen sich nicht mehr auf. Dann könnte wieder ungestört Ufo gespielt werden. Und der Bär wäre dem Menschen noch ein bisschen ähnlicher geworden.

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