Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Es ist sehr schön, mal wieder etwas von Vera Tschechowa zu hören. Solche Sätze können natürlich nur Menschen sagen, die sich an Zeiten erinnern, in denen der Name Vera Tschechowa so häufig ausgesprochen wurde wie heute das Wort Latte Doppelshot. Also, Vera Tschechowa, die sehr schöne und berühmte Schauspielerin, Urgroßnichte von Anton Tschechow, dem Dichter des "Kirschgartens", Vera also ist wieder zurück in der Öffentlichkeit. Allerdings, wie es aussieht, nur für kurze Zeit, denn die Tschechowa, wie wir Älteren sie nennen dürfen, hat nur ganz kurz bei der Deutschen Presse-Agentur reingeschaut und ein paar Fragen zu ihrem momentanen Befinden beantwortet. Grundsätzlich ist dieses Befinden ganz ausgezeichnet. Vera Tschechowa gönnt sich nach vielen Jahren Schauspielerei jetzt eine Pause. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Drehbücher in den vergangenen dreißig Jahren einfach nicht besser geworden sind. Zum Vergleich: Vor mehr als dreißig Jahren waren die Drehbücher irrsinnig gut. Es war die legendäre Zeit der unfassbar guten Drehbücher damals.

Aber warum soll Vera Tschechowa bekümmert sein oder auch nur sentimental? Sie führt ein angenehmes Leben und zu ihrem nun anstehenden 75. Geburtstag plant sie ein gemeinsames Abendessen mit ihrem Ehemann. Kurzum: Man könnte die elegante Gelassenheit, welche die Tage von Vera Tschechowa inzwischen veredelt, weiterhin feiern und schließlich in eine herzliche Glückwunschadresse plätschern lassen, wäre da nicht dieser eine große Wunsch, der sich unseligerweise nicht mehr in Wirklichkeit ummünzen lässt: Vera Tschechowa würde gerne ein Film-Porträt von Heinrich Böll drehen, der vor dreißig Jahren starb. Und so schön es wäre, mal wieder etwas von Heinrich Böll zu hören, so wahr ist es leider auch, dass der Name des Schriftstellers jüngeren Lesergenerationen nur noch kursorisch vertraut ist. Der Lockstoff für die Filmemacherin Vera Tschechowa besteht im Fall Heinrich Bölls in der bescheidenen Art, welche der Nobelpreisträger an den Tag gelegt habe und die - Böllianer werden sich erinnern - in einer einfachen, schwarzen Baskenmütze ihre ikonografische Krönung fand.

Was die meisten Menschen vermutlich gar nicht wissen: Heinrich Böll hat diese Baskenmütze nicht einfach nur auf dem Kopf getragen. Sie diente dem Dichter vielmehr als Ausdrucksmittel, wenn es galt, seine legendäre Bescheidenheit in Szene zu setzen. Dann nämlich habe Böll, so Vera Tschechowa, seine Baskenmütze mit den Händen geknetet. Ja, es wäre ein schöner, ein bewegender, ein großer Film geworden: Der baskenmützenknetende Heinrich Böll! Aber solche Filme werden ja nicht mehr gedreht. Sie waren nur in jener uns heute so fernen Zeit möglich, als es noch unfassbar gute Drehbücher und wirklich tolle Regisseure gab.

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