Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Bekanntlich enthalten Beschwichtigungen von Hundehaltern wie "Der tut nichts" oder "Er will doch nur spielen" eine für den Nichthundehalter beunruhigende Fehlerquote. Die Sache wird nicht dadurch besser, dass der Hundehalter den Fehler grundsätzlich dem Nichthundehalter anlastet. Ruft aber der Besitzer des auf einen zuhetzenden Pitbulls "Der übt nur fürs Ballett", weiß man neuerdings: Kein Grund zur Panik. Alles wird gut. Er übt ja nur fürs Ballett. Übelwollende könnten freilich vermuten, ein Pitbull-Ballett bestehe aus einer sorgsam orchestrierten Hatz mehrerer Kampfhunde auf ein flüchtendes Schulkind. Das sind natürlich nur die üblichen Vorurteile gegen diese herzensguten Mitgeschöpfe.

In den Händen einer liebenden Familie verwandelt sich ein Pitbull in ein Lamm, wenn auch ein Lamm mit sehr, sehr ausgeprägter Kiefermuskulatur. Leider sind nicht viele der sensiblen Tiere bei liebenden Familien daheim, sondern eher zu Objektschutzzwecken auf Autofriedhöfen und in Rotlichtbars. Näher als bei dem dort zur Aufführung gelangenden Tabledance kommen Pitbulls der Kultur des Balletts normalerweise nicht. Andere Tiere sind da besser dran, etwa die Humboldtpinguine, und dies nicht allein durch ihre natürliche Ausstattung mit einem wie angegossen sitzenden Frack. Wie sie anmutig zur Eiskante watscheln, das Wackeln der Köpfe fein abgestimmt, das hat Pinguinfreunde schon immer an die Arabesken von Rudolf Nurejew erinnert. Künstlerisch womöglich noch hochwertiger ist das Wellensittichballett, bei dem sich die klugen Tiere nach Farben geordnet auf Kopf und Nase ihres Trainers niederlassen. Vom berühmten Schildkrötenballett und der Hühnerpyramide aus dem "Karneval der Tiere" wollen wir gar nicht erst anfangen. Nur so viel: Zu den allerletzten Tieren, die Nichtsahnende mit elegisch über Bühnenbretter schwebenden Feen und Jünglingen assoziieren, gehört neben der Vampirfledermaus und dem Tasmanischen Beutelteufel gewiss der Pitbull. Bis jetzt.

Berlins Tierheim war die erste Institution, welche die Neigung des Kampfhundes zu den schönen Künsten entdeckte. Die Erwartungen waren hoch an den weichen Gang geschmeidig starker Schritte, um mit Rilke zu sprechen: An diesem Sonntag sollte das Pitbull-Ballett steigen, zum Tag der offenen Tür. Leider musste es wegen der Hitze abgesagt werden, aus Rücksicht auf die caniden Künstler. Welchen Tanz von Kraft um eine Mitte sie aufgeführt hätten, bleibt nun ein Geheimnis. Den "Nussknacker" als artgerechte Inszenierung? Oder sogar ein Stück mit Biss, eine moderne, dekonstruktivistische, die Verhältnisse durch verstörenden Hass decouvrierende Performance, vielleicht "Die Rotphase, oder: Als ich den Maulkorb verlor"? Origineller als das, was die Berliner Bühnen so bringen, wäre das Pitbull-Ballett jedenfalls gewesen.

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