Giulio Andreotti wird 90:Italiens geheimnisvolle Eminenz

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Giulio Andreotti war sieben Mal Premier und noch viel öfter Minister - nun wird er 90 und kann doch von der Politik nicht lassen.

Stefan Ulrich, Rom

Über Giulio Andreotti geht ein Witz um, den man kaum erzählen dürfte, hätte der Jubilar nicht so viel Sinn für schwarzen Humor: Nach seinem Tod muss Andreotti in die Hölle. Er klopft ans Tor zur Unterwelt. "Wer ist da?", fragt der wachhabende Unterteufel. "Giulio Andreotti", ertönt die Antwort. Da strahlt der Teufel und jubelt: "Hallo Papa!"

Fürst der Finsternis: "Beelzebub" lautet der Spitzname Gulio Andreottis. Bis heute hat er großen Einfluss in Italien. (Foto: Foto: dpa)

Der frühere Sozialistenführer Bettino Craxi soll es gewesen sein, der Andreotti "Beelzebub" taufte. Dieser Name hängt dem mächtigsten italienischen Politiker der Nachkriegsjahrzehnte bis heute an. Seine Gegner sehen in dem buckligen Mann mit dem eulenartigen Gesicht einen Fürsten der Finsternis, der in fast alle dunklen Geheimnisse Italiens verstrickt sei.

Ob es um die Ermordung des Politikers Aldo Moro ging, um rechtsradikale Attentate, Putschversuche, eine Geheimarmee, intrigante Logen, die Verbrechen der Mafia oder dubiose Bankgeschäfte der Päpste - stets soll Andreotti seine langen, feingliedrigen Finger im Spiel gehabt haben.

Woher kommt dieser Ruf, der satanische Puppenspieler der Republik zu sein? Andreotti kauert sich in seinem pittoresken Sessel zurecht, verschränkt die Hände unterm Kinn, neigt den scheinbar halslosen Kopf zur Seite und blickt seinen Besucher aus aufmerksamen Augen an, die nicht verraten, was er denkt. Es ist heiß in seinem freskengeschmückten Arbeitssaal im Senats-Palast der römischen Altstadt. So warm, dass sich ein 89 Jahre alter Mann, der wenig schläft, wenig isst und viel arbeitet, wohl fühlt.

Berühmtes Archiv

Andreotti antwortet, vielleicht habe sein Ruf etwas mit seiner gebeugten Gestalt zu tun. Tatsächlich entsprächen die Geschichten über seine Allmacht wenig der Wahrheit. "Ich bin nur ein neugieriger Mensch, der alles wissen will. Und ich habe ein eisernes Gedächtnis."

Dann sei da noch sein berühmtes Archiv, das er seit Jahrzehnten pflegt und vor dessen Inhalt viele Politiker zittern. Aber dunkle Machenschaften? Nein. "Ich fühlte mich nie in okkulte Dinge verwickelt." Gewiss, er sei "kein Engel, kein Cherub". Doch wenn er sich so umsehe, "fühle ich mich besser als manche andere".

Andreotti betreibt Denkmalpflege in diesen Tagen. Das Monument ist er selbst. 90 Jahre wird der Senator an diesem Mittwoch alt. Seit 60 Jahren vertritt er die Italiener im Parlament. Sieben Mal war er Premier, acht Mal Verteidigungsminister, fünf Mal Außenminister, außerdem Finanz-, Industrie-, Innen-, Europa- und Kulturminister. "Keine Rose ohne Dornen, keine Regierung ohne Andreotti", hieß es.

Damit verkörperte der kirchentreue Römer die konservative Struktur der Republik. Regierungen kamen und gingen, die Politiker aber blieben die alten. Hierzu mussten die Machtverhältnisse ständig neu austariert werden, galt es zu vermitteln, Kompromisse zu schließen, zu geben und zu nehmen.

Im Strudel der Korruption

Der konservative Christdemokrat Andreotti war ein Meister darin. Er paktierte mal mit den Rechten, mal mit den Kommunisten, pflegte gute Beziehungen zu Washington und Moskau, knüpfte Kontakte zu arabischen Potentaten, ging im Vatikan ein und aus und findet heute viel lobende Worte für Premier Silvio Berlusconi.

Macht stinkt nicht, mag er denken. Sein berühmtester Ausspruch lautet: "Die Macht verschleißt nur den, der sie nicht hat." Da ist er jenem deutschen Politiker ähnlich, den er besonders schätzte: Franz Josef Strauß. Strauß sei ein großer Demokrat gewesen, findet Andreotti.

Als Anfang der neunziger Jahre der Parteienstaat in Korruptionsermittlungen unterging, schien Andreottis Ehe mit der Macht am Ende zu sein. Gerade noch Ministerpräsident, fand er sich plötzlich auf der Anklagebank wieder. Die Staatsanwälte warfen ihm vor, er habe einen Journalisten umbringen lassen und mit der Mafia paktiert.

In dem Mordprozess wurde Andreotti 2002 von einem Gericht in Perugia zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt, in der Revision aber freigesprochen. Auch das Mafia-Verfahren endete mit Freispruch. Zwar stellten die Berufungsrichter in Palermo eine "authentische, stabile und freundschaftliche Verfügbarkeit des Angeklagten gegenüber den Mafiosi bis zum Frühjahr 1980" fest. Die "Beteiligung an einer verbrecherischen Vereinigung" war jedoch verjährt.

Im Gegensatz zu Berlusconi ließ Andreotti weder Strafgesetze zu seinen Gunsten ändern noch beschimpfte er die Justiz. Im Gegenteil: Ruhig, diszipliniert und fleißig nahm er an allen Verhandlungen teil und kämpfte mit juristischen Mitteln für seine Ehre. Heute sagt er, er empfinde Wut, wenn er an jene "ungerechten" Vorwürfe denke. Damals habe man ihn wohl aus dem Weg räumen wollen.

Das ist misslungen. Als Senator auf Lebenszeit mischt die geheimnisvolle Eminenz weiter in den Palästen der Macht mit. So sieht man Andreotti oft im Senat, bei Konferenzen, in Talkshows. Wenn er da in seinem schwarzen Anzug im Sessel kauert, die Arme um den Leib gelegt, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, mag er auf den schrillen TV-Bühnen wirken wie ein Fossil. Doch wenn er spricht, merken die Menschen: Er ist voll da.

Seine gute Verfassung erklärt Andreotti damit, er sei als junger Mensch kränklich gewesen, daher habe er stets auf sich achtgegeben. Bei der Musterung wies ihn ein Militärarzt einst zurück. "Wie lange glauben Sie denn durchzuhalten?", herrschte der Mediziner ihn an. Als Andreotti später Verteidigungsminister wurde, wollte er den Arzt wiedersehen. "Doch der war bereits gestorben."

Vertrauen auf die Gnade Gottes

"Ich bin es gewöhnt, politische Luft zu atmen." So erklärt Andreotti, warum er mit 90 Jahren weitermache mit der Politik. Viele Politiker suchten seinen Rat. Bei einem Mann, der die Macht so schätzt, liegt nun die Frage nahe, wozu er die Macht eigentlich will. Welche Vision hat er von Italien? "Wir Römer mit unserer Geschichte sind skeptische Menschen", sagt er. Die Welt werde nie ein Paradies.

Verbessern könne man sie jedoch schon. So könne man die Arbeitslosigkeit verringern und den Menschen etwas mehr Geld zum Leben verschaffen. Versteht er das unter Visionen? Andreotti überlegt: "Wichtig ist, dass die heutigen Generationen in Europa keine Kriege mehr gegeneinander führen." Daran hat Andreotti seinen Anteil. Er setzte sich stets für ein einiges Europa ein.

Seine andere große Neigung gilt der Kirche. Wenn ihm seine Mutter als Schüler Geld fürs Pausenbrot gab, kaufte Giulio sich dafür den Osservatore Romano. Schon als junger Mann wurde die Kurie auf ihn aufmerksam und empfahl ihn der Christdemokratischen Partei. Andreotti blieb sein Leben lang ein Vertrauter der Päpste. Er sei "ein großer Staatsmann des Vatikans", urteilt der frühere Staatspräsident Francesco Cossiga. "Defensor Ecclesiae", "Verteidiger der Kirche", nennt er Andreotti.

Der Neunzigjährige geht noch heute täglich zur Frühmesse in die Kirche San Giovanni dei Fiorentini. Mit dem Tod beschäftige er sich eher selten, sagt er. Und wenn es so weit ist, was erwartet ihn dann? Beelzebub im Paradies? Er rechne mit dem Paradies, sagt Andreotti trocken. "Nicht weil ich es verdient habe - sondern wegen der Gnade Gottes."

© SZ vom 14.01.2009/che - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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