Türkei:Diese Reise wird für Merkel eine der schwersten

Türkei: So war es vor ein paar Wochen in der türkischen Stadt Gaziantep: Merkel in der Türkei

So war es vor ein paar Wochen in der türkischen Stadt Gaziantep: Merkel in der Türkei

(Foto: AFP)
  • Am Sonntag fliegt Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Türkei. Die Reise könnte eine ihrer unangenehmsten werden.
  • Die Liste der Probleme reicht von dem agressiven Kampf gegen die Kurden über die Presse- und Meinungsfreiheit bis zur Absetzung des Ex-Ministerpräsidenten Davutoğlu.
  • Besonders brisant dürfte eine bevorstehende Bundestagsresolution sein: Darin geht es um den Völkermord an den Armeniern.

Von Stefan Braun, Berlin

Angela Merkel hat in mehr als zehn Jahren Kanzlerschaft schon viel gesehen. Sie hat Hunderte Reisen gemacht, Tausende schwieriger Gespräche geführt und dabei nicht nur lupenreine Demokraten getroffen. Chinesische Präsidenten, saudische Könige, dazu immer wieder Wladimir Putin - sie hat Erfahrung mit komplizierten Situationen. Trotzdem wird ihre am Sonntag beginnende Türkeireise so unangenehm wie kaum eine vorher.

Selten war sie von einer Beziehung politisch so abhängig wie von dieser. Und selten zuvor ist ihr der Partner derart aggressiv, trotzig und provozierend begegnet wie der Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, den sie am Montag trifft.

Die Liste der Probleme ist lang: die Aufhebung der Immunität so vieler Abgeordneter; die aggressive Schwächung der Presse- und Meinungsfreiheit; dazu das harte Nein Erdoğans zur Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze (ein zentrales Element im EU-Türkei-Flüchtlingspakt); schließlich die faktische Absetzung des bisherigen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu, der für die EU, für Berlin und für Merkel persönlich zum wichtigsten Verhandlungspartner geworden war - all das summiert sich zu einem Bündel an Provokationen, die unter normalen Umständen Distanz, Kritik und das Einfrieren enger Kooperation nach sich ziehen müsste.

Merkel braucht eine Lösung für die Flüchtlingskrise

Die Zeiten aber sind nicht normal. Nicht für Millionen Flüchtlinge, deren Heimat Syrien keinen Frieden findet; nicht für die EU, die zerbrechen könnte, falls die Flüchtlingszahlen erneut anwachsen; nicht für Merkel, die eine Lösung der Krise bitter benötigt, will sie nicht als gescheitert abtreten. Solange die Kanzlerin auf das Abkommen mit der Türkei setzt, braucht sie diesen Präsidenten.

Dass sie das auch selbst so sieht, zeigte sich am Freitag. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte trotz aller Provokationen, dass er für das Treffen mit Erdoğan keine Prognose abgeben wolle. Anders als Bundestagspräsident Norbert Lammert vermied es Seibert penibel, die faktische Auflösung der Rechte vor allem von kurdischen Abgeordneten härter als nur ein klein bisschen zu verurteilen. Er sagte, dass man die wachsende Polarisierung in der Türkei mit Sorge betrachte. Im Übrigen halte man es für wichtig, dass alle gesellschaftlichen Gruppen auch im Parlament angemessen repräsentiert würden. Ein Satz, der auf jedes Land der Erde passen würde.

Die geplante Resolution zum Völkermord an den Armeniern könnte für Ärger sorgen

Ähnlich vorsichtig klang Merkels Sprecher auch bei jenem Thema, das in den nächsten Tagen das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara zusätzlich belasten dürfte: die geplante Resolution des Bundestages zum Völkermord an den Armeniern vor 101 Jahren. Auf die Frage, ob die Kanzlerin dies in Istanbul ansprechen werde, sagte Seibert, die Kanzlerin wolle dem Votum der Abgeordneten am 2. Juni nicht vorgreifen. Distanzierter hätte er kaum sein können.

Dabei ist die Resolution nur bei oberflächlicher Betrachtung das, was Erdoğan und Ankara seit Monaten daraus machen: ein Angriff auf die heutige Türkei. Der Text ist so gut wie fertig. Er liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Und die viereinhalb Seiten zeigen das Bemühen, nicht nur den Genozid so zu benennen, sondern auch die deutsche Verantwortung für die Gräueltaten auszusprechen. So heißt es darin: "Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches."

Dieses habe als Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches "trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen". Das Schicksal der Armenier stehe "beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde", von denen das 20. Jahrhundert gezeichnet sei. "Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt."

Es geht den Verfassern auch darum, die deutsche Verantwortung zu benennen

Damit soll klar werden, dass sich die deutschen Abgeordneten zu den damaligen Gräueln äußern, weil sie auch die eigene Verantwortung benennen möchten. Die Autoren, der Grüne Cem Özdemir, der Christdemokrat Franz Josef Jung und der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich, betonen zudem, dass "zwischen der Schuld der Täter und der Verantwortung der heute Lebenden" unterschieden werden müsse. Es gehe nicht darum, sagt Jung, der heutigen Führung in Ankara die Schuld zu geben. "Es geht um ein eigenes Bekenntnis und die Hoffnung, so auch Ankara für eine Versöhnung zu gewinnen."

Es hat Monate gedauert, bis sich die Koalitionsfraktionen mit den Grünen auf diesen gemeinsamen Akt verständigen konnten. Vor allem das Auswärtige Amt hatte davor gewarnt, dass die Resolution die Beziehungen erschweren und die türkisch-armenische Aussöhnung behindern statt fördern würde. Mittlerweile aber ist aus allen Lagern zu hören, dass die Sorge vor Verstimmungen abgelöst worden ist von dem Wunsch, eine glasklare Botschaft zu senden. "Wir müssen Erdoğan genau jetzt zeigen, wofür wir stehen", sagte am Freitag ein führender Minister der SZ.

Ob das bei der Abstimmung selbst noch etwas ändert, mochte er indes nicht sagen. Bislang soll es keine namentliche Abstimmung geben - aus Rücksicht auf jene in der Koalition, die sich nicht offen für oder gegen die Resolution aussprechen mochten. Vielleicht wird sich das bei der derzeitigen Stimmung ja noch einmal ändern.

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