Gewerkschaften vor der Bundestagswahl:Gelb sind nur die Warnwesten

Nekar-Schleuse

Gelb nur als Warnweste: Die Gewerkschaften verstehen sich nicht nur mit der SPD gut.

(Foto: dpa)

Im Wahlkampf sind die Arbeitnehmervertreter zur SPD zwar besonders herzlich, doch mit Angela Merkels CDU können sie auch gut arbeiten. Da ihnen letztlich egal sein kann, wer die Rente mit 67 kippt, gibt es nur eine Partei, mit der sie gar nicht können.

Von Detlef Esslinger

Manchmal reicht ein Satz, eine Bemerkung, und alles ist drin. In diesem Fall: Parteinahme, Skepsis, Drohung. Wer also wissen will, wie es die Gewerkschaften vor dieser Wahl halten, ob sie es tatsächlich schaffen, sich überparteilich zu geben, der braucht sich nur den Satz zu merken, den Dietmar Schäfers am Dienstagmittag gesagt hat.

Schäfers ist Vize der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), und er wünschte dem bisherigen Vorsitzenden Klaus Wiesehügel zunächst "wirklich alles Gute für seine politischen Absichten". Wiesehügel hat von der SPD die Zusage, Arbeits- und Sozialminister zu werden, falls es für eine Beteiligung an der Regierung reicht. "Aber eines ist auch klar", fuhr Schäfers fort, "diese IG Bau wird immer genau hinschauen. Wir werden jeden Politiker treiben, egal welcher Partei er angehört."

Die Gewerkschafter haben zwei Lehren gezogen

Gewerkschafter haben sich bei Wahlen noch nie mit der Rolle von Zuschauern zufriedengegeben, dafür sind sie zu sehr Vertreter von Interessen, die nur mit oder gegen Politiker durchgesetzt werden können. Aber aus den Erfahrungen mit den Kanzlern Schröder und Merkel haben sie zwei Lehren gezogen. Sich nicht mehr darauf zu verlassen, dass ein sozialdemokratischer Kanzler quasi automatisch ihr Bundesgenosse ist - und dass man mit einer christdemokratischen Kanzlerin auch ein ganz vernünftiges Arbeitsverhältnis haben kann. Nur was das Verhältnis zur FDP betrifft, kann man fürs Erste festhalten: Das wird nichts mehr. Treiben heißt in dem Fall, aus der Regierung treiben.

So ausdrücklich formulieren es natürlich nur die wenigsten. "Wählen gehen für den Politikwechsel", heißt es ein bisschen verklausuliert in einem Aufruf von DGB-Chef Michael Sommer. "Wir wollen eine bessere Politik für Arbeitnehmer", schreibt der IG BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis in seiner Mitgliederzeitschrift; beide sind - wie die meisten Gewerkschaftsführer - SPD-Mitglied. Sie wollen die Rente mit 67 weghaben, sie wollen einen gesetzlichen Mindestlohn und dass Leiharbeit und Werkverträge streng reglementiert werden.

Auf all das kann man bei SPD und Grünen hoffen, die Linke würde es sofort beschließen, und mit der Union könnte man reden. Nur mit der FDP nicht. Erst am Mittwoch wurde bekannt, was die Liberalen über das von ihnen geführte sächsische Wirtschaftsministerium verhindern: dass ein zwischen Arbeitgebern und IG Metall ausgehandelter Mindestlohn bundesweit für allgemein verbindlich erklärt wird. Beim Gewerkschaftstag der IG Bau ruft Dietmar Schäfers, der Vize: "Die FDP gehört nicht in den Bundestag, sie gehört in keinen Landtag und in kein Kommunalparlament." Beifall? Eher Jubel.

Rentenpolitik nicht von Boshaftigkeit, sondern Mathematik geprägt

Es ist die einzige Bundestagspartei, die beim Gewerkschaftstag der IG Bau gar nicht erst eingeladen ist; fast nie lädt eine DGB-Gewerkschaft deren Vertreter ein. Aber sonst? Eine Rede hält der Regierende Bürgermeister der gastgebenden Hauptstadt, und was kann die Gewerkschaft dafür, dass der von der SPD ist? Was kann sie auch dafür, dass die CDU-Kanzlerin die Einladung abgelehnt hat und zur Repräsentation ihrer Partei bloß jemanden schickt, dessen Amt das des Parlamentarischen Staatssekretärs im Arbeitsministerium ist? Der SPD-Kanzlerkandidat hingegen kommt natürlich; den Termin konnte er seinem Vielleicht-Minister Wiesehügel unter keinen Umständen abschlagen. Und dass ein Gewerkschaftstag ohne SPD-Parteichef stattfindet, wird nun keiner erwarten. Macht also drei SPD-Redner; plus Trittin; plus Gysi. Und auf der anderen Seite Brauksiepe (der Staatssekretär).

Mag auch eine Umfrage ergeben haben, dass die meisten Gewerkschaftsmitglieder zu CDU respektive CSU neigen (jedenfalls berichtet Ralf Brauksiepe davon) - vor einer Wahl ist das Verhältnis der Funktionäre zur SPD immer herzlicher als das zu den Parteien aus dem anderen Lager; vor allem, wenn die SPD noch Opposition ist.

Möglich, dass seine alten Verbündeten Wiesehügel bald treiben

Und nach der Wahl? SPD-Chef Gabriel kündigt am Mittwoch bei der IG Bau an, "keinen Koalitionsvertrag zu unterzeichnen, in dem die Leiharbeit nicht zurückgedrängt und Equal Pay festgeschrieben wird". Zum Thema Rente mit 67 sagt Gabriel, nach 45 Beitragsjahren und im Alter von 63 müsse ein Arbeitnehmer ohne Abschlag in den Ruhestand gehen dürfen. Das klingt gut und gefällt hier allen; nur dass jede Rentenpolitik ja nicht von Boshaftigkeit, sondern von Mathematik geprägt wird.

Es gibt auf diesem Kongress einen Redner, der erklärt seine Rentenpolitik, indem er in den Fünfzigerjahren anfängt: "Wir hatten damals eine deutlich geringere Lebenserwartung. Das ist heute anders, und das macht uns ganz schön zu schaffen. Ihr könnt mir glauben: Es gibt angenehmere Momente, als so etwas zu entscheiden." Es handelt sich um den bisherigen Vorsitzenden Wiesehügel. So erklärt er, warum er im vergangenen Jahr die betriebliche Altersvorsorge für die Beschäftigten der IG Bau aufgeben musste. Mit immer weniger Mitgliedern immer länger laufende Renten zu bezahlen, das hat nicht mehr funktioniert.

Sollte Wiesehügel dereinst als Minister mit ähnlichen Worten begründen, warum die Rente mit 67 nun doch bleibt - durchaus möglich, dass seine alte Gewerkschaft beschließen wird, ihn ein wenig zu treiben.

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