Gewerkschaften:Gestalten und gegenhalten

IG Metall - Christiane Benner und Jürgen Kerner

Christiane Benner, 47, soll zur Zweiten Vorsitzenden der IG Metall gewählt werden. Seit vier Jahren ist sie im geschäftsführenden Vorstand.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Werkverträge, TTIP, eine Frau als Vorsitzende - auf dem Kongress der IG Metall haben sie viele Eisen zu schmieden. Und dann ist da noch VW.

Von Detlef Esslinger, Frankfurt

Gewerkschaftskongresse werden stets lange im Voraus festgelegt, und anschließend können die Funktionäre nur hoffen, dass der Termin sich tatsächlich als günstig erweist. Seit Jahren stand fest, dass der Kongress der IG Metall am 18. Oktober 2015 beginnen würde, die Halle in Frankfurt wurde gebucht, als die deutsche Autoindustrie auch nicht zu den geringsten Befürchtungen Anlass gab. Und nun?

Nun verschränkt ein führender Repräsentant der Gewerkschaft die Arme vor dem Bauch, solange sein Besucher ihn mit dem Thema VW malträtiert. Nichts kommt der IG Metall ungelegener als die Diesel-Affäre. Ein Kongress ist dazu da, den eigenen Themen und Personen Gehör zu verschaffen. Aber nicht, um reagieren zu sollen auf die Skandale anderer, und erst recht nicht, um sich auch noch Fragen nach Mitverantwortung zu stellen. Der Repräsentant, der die Arme verschränkt, benutzt den mit "Sch" anfangenden Fluch, um auszudrücken, wie ungelegen die Affäre kommt; vom Vorgang als solchem ganz abgesehen. Gewerkschaften gelten grundsätzlich als relativ maskuline Organisationen, in den Ritualen, wie im Personal. Auf den Kongressen ändert sich das nach und nach, im Vorstand der IG Metall diesmal recht spektakulär: Mehr als jeder vierte Delegierte ist inzwischen weiblich, und statt eines Zweiten Vorsitzenden wird es künftig eine Zweite Vorsitzende geben, zum ersten Mal. Christiane Benner, seit vier Jahren schon geschäftsführendes Vorstandsmitglied, ist dafür vorgesehen. Das Amt wird frei, weil der bisherige Inhaber Jörg Hofmann, 59, ganz an die Spitze rückt; wie noch fast jeder Zweite Vorsitzende bisher. Das ist das eine ungeschriebene Gesetz bei der IG Metall; das andere lautet: Ein Vorstandsmitglied tritt nicht erneut für vier Jahre an, sollte man während dieser Zeit das 65. Lebensjahr erreichen. Aus beiden Gesetzen folgt: In vier Jahren wird Christiane Benner wohl... aber das ist selbstverständlich bloß Journalistengequassel, nichts, was in Frankfurt zur Diskussion stünde.

Die Delegierten werden sich beschäftigen mit Rente, Jugendarbeit, Werkverträgen, Arbeitszeiten. Welche Arbeitszeit und wie viele Stunden pro Woche passen zu welcher Lebensphase? Welche Arbeitsmodelle kann man mit den Arbeitgebern gemeinsam durchsetzen, welche nur gegen sie? Der zunehmende Einsatz von Werkverträgen in der Industrie hat nicht nur Funktionäre, sondern auch viele Mitglieder ehrlich empört. Nichts dagegen, wenn ein Autohersteller die Pförtnerei an eine andere Firma vergibt; so macht die IG Metall es in ihrer Frankfurter Zentrale ja selber: Putzen und Bewachen übernimmt der Dienstleister Wisag. Aber dass es an einem Fließband für ein und dieselbe Tätigkeit zwei Gruppen von Beschäftigten gibt, Stamm-Arbeitnehmer und Werkvertragler, "die 30 bis 50 Prozent weniger bekommen", so der Vorwurf in der Gewerkschaft - das will sie nicht länger akzeptieren. Mit Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen und Andrea Nahles geht sie dagegen vor. Die Arbeitsministerin, eine frühere IG-Metall-Angestellte, wird demnächst ein Gesetz zur Regulierung von Werkverträgen vorlegen. "Sie wird uns am Freitag hoffentlich über den Stand informieren", sagte der scheidende Vorsitzende Detlef Wetzel bei der Eröffnung am Sonntagabend.

Gewerkschaften sind manchmal Gegen- und manchmal Gestaltungsmacht. Beides muss sein, aber manchmal wird es recht kompliziert - wie gerade live zu erleben. Natürlich rief die IG Metall mit zur großen Anti-TTIP-Demo am vorvergangenen Samstag in Berlin auf. Vier ihrer sieben geschäftsführenden Vorstände liefen mit beim grundsätzlichen Protest gegen das Abkommen. Viele Mitglieder werden das geradezu erwartet haben, das demonstrierten sie auch bei der Eröffnung am Sonntag: DGB-Chef Reiner Hoffmann bekam den meisten Beifall, als er gegen "Geheimdiplomatie" bei den TTIP-Verhandlungen protestierte - und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel den wenigsten, als er sagte, entweder setzten die Europäer mit den Amerikanern die künftigen Standards im Handel. Oder die Chinesen. Die Delegierten gaben sich als Gegenmacht. Zugleich aber gründete ihre Gewerkschaft vergangene Woche mit dem Wirtschaftsministerium und Arbeitgeberverbänden ein Bündnis "Zukunft der Industrie". Dabei unterschrieb sie den Satz: "Wir wollen, dass die Verhandlungen zu TTIP zu einem erfolgreichen Ergebnis führen." Gestaltungsmacht. Falls der designierte Chef Hofmann noch überlegt haben sollte, seit Sonntag weiß er es: Diesen Satz darf er beim Kongress nicht wiederholen.

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