Gewerkschaften:Der Fluch der Erwartungen

Tarifeinigung bei der Post: Die Gewerkschaft muss ihren Mitgliedern jetzt erklären, warum es ein Erfolg sein soll, wenn man das Ziel des Streiks meilenweit verpasst hat. Das wird, milde gesagt, nicht einfach werden.

Von Detlef Esslinger

Streik ist Kampf, und wie bei den meisten Kämpfen weiß man vorher nicht, wie es ausgeht. Vier Wochen lang haben Zehntausende Beschäftigte der Post auf Geheiß ihrer Gewerkschaft Verdi gestreikt. Diese hatte das Ziel ausgerufen, die Post zur Auflösung der Billigfirmen zu zwingen, die für die Paketzustellung gegründet worden waren. Nun ist der Kampf vorbei. Was es weiterhin geben wird, sind die Billigfirmen.

Misst man die Gewerkschaft an ihren eigenen Worten, hat sie spektakulär verloren. Nicht nur, dass sie mit den Plänen der Post ihren Frieden machen musste. Es ist ein Monat her, dass Verdi dem Konzern ein ungewöhnliches Angebot machte: Die Gewerkschaft erklärte sich bereit, auf eine prozentuale Einkommenserhöhung für die 140 000 Arbeitnehmer zu verzichten, wenn im Gegenzug der Konzern alle Paketboten wieder nach dem regulären Haustarif bezahlt. Und was ist jetzt das Ergebnis? Der Konzern lehnte ab - woraufhin Verdi trotzdem auf die Einkommenserhöhung verzichtete. So viel Nachgiebigkeit erlebt man bei Gewerkschaften nicht oft.

Verdi muss den Postlern erklären, was der Streik nun gebracht hat

Bei Verdi wiederholt sich derzeit, was der Gewerkschaft schon im Kita-Konflikt passierte: Sie hat bei ihren Mitgliedern Erwartungen geweckt und darf nun erklären, warum es ein Erfolg sein soll, diese Erwartungen nicht befriedigen zu können. Im Sozial- und Erziehungsdienst ist das Problem, dass Verdi die Gehälter im Schnitt um zehn Prozent heben wollte, aber auch im Schlichtungsverfahren nur etwas mehr als drei Prozent herausholte. Jetzt müssen die Unterhändler durch die Kitas tingeln, um die Mitglieder doch noch davon zu überzeugen, dass solch ein Ergebnis den wochenlangen Streik wert war.

Eine Faustregel für Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen lautet, dass sie dann erfolgreich sind, wenn sie ihre Forderung zu mehr als 50 Prozent durchsetzen. Bei den Kitas hat Verdi das Ziel eindeutig verfehlt. Bei der Post lässt sich wenigstens noch behaupten, die Forderung nach Auflösung der Billigfirmen sei ja nur das Vehikel gewesen, um Garantien für die Stammbelegschaft zu erwirken. Die hat Verdi in der Tat bekommen; die Post hat weitere Auslagerungen für dreieinhalb Jahre ausgeschlossen. Der Hinweis darauf erfolgt getreu der Devise: Alles, was klappt, wird hinterher zur Strategie erklärt. Heißt aber nicht, dass nun jeder Streikende, ergriffen von so viel Kampfkunst, freudig auf seine womöglich eingeplante Lohnerhöhung in diesem Jahr verzichtet.

Den Piloten und ihrer Gewerkschaft Cockpit steht eine solche Konfrontation mit der Realität noch bevor. Sie haben die Schlichtung mit dem Arbeitgeber Lufthansa für gescheitert erklärt. Es ist ein Arbeitgeber, der - ganz anders als die Post - seinen Aktionären die Dividende gestrichen hat. Im Streit um einen Teil ihrer Altersversorgung bestehen die Piloten dennoch weiter auf ihren Erwartungen. So weit sind die Piloten noch nicht: an die Möglichkeit auch nur zu glauben, dass man einen Kampf auch verlieren kann. Sie sind doch keine Erzieherinnen oder gar Paketboten!

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: