Gewaltiger Korruptionsskandal:Italienisches Monopoly

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Schwarzgeld im Tresor eines Priesters, Massagen im Sportclub, viele Schecks: Ein Skandal um Korruption am Bau erschüttert die Regierung Berlusconi. Da wird sogar der "Cavaliere" kleinlaut.

A. Bachstein

Schwarzgeld im Tresor eines Priesters, eine günstige Wohnung mit Blick aufs Kolosseum, ein G-8-Gipfel, Massagen in einem römischen Sportclub, die 150-Jahr-Feiern zur Einheit Italiens, jede Menge Schecks - das sind nur einige bunte Elemente der ausgedehnten Korruptionsaffäre, deren mögliche Weiterungen sogar Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi um das Ansehen seiner Regierung bangen lassen. "Wer Verfehlungen begangen hat, muss dafür bezahlen und raus aus der Regierung", hat er - ganz gegen seine Art - angekündigt.

Silvio Berlusconi: Er muss um das Ansehen seiner Regierung bangen. (Foto: Foto: AP)

Die Zahl der Beteiligten ist groß, die Ermittlungen währten lange, und das Ergebnis ist selbst für italienische Verhältnisse ein Fass ohne Boden: Wirtschaftsminister Claudio Scajola ist bereits zurückgetreten. Gegen Staatssekretär Guido Bertolaso, den mächtigen Zivilschutzchef, wird ermittelt; ebenso gegen mindestens einen engen Mitarbeiter des Infrastruktur-Ministers. Unter Korruptionsverdacht steht auch ein Koordinator der Berlusconi-Partei PDL; ein früherer Infrastrukturminister Berlusconis soll zehn Prozent bei der Vergabe staatlicher Aufträge kassiert haben.

Fast täglich tauchen neue Details aus dem Korruptionssumpf auf. Seit zwei Jahren ermitteln Staatsanwälte in Florenz und Perugia in einer Affäre, deren Stränge bis nach Tunesien und Luxemburg reichen. Bisher gibt es rund 40 Beschuldigte. Was die Ermittler aufgrund von Geldbewegungen, abgehörten Telefonaten, Zeugen und sichergestellten Akten erkennen, ist ein weit verzweigtes System, das der römische Bauunternehmer Diego Anemone, 40, aufgezogen haben soll. Sein engster Verbündeter war offenbar der Chef der Obersten Behörde für staatliche Bauvorhaben.

Mit dessen Hilfe, mit Beziehungen und kostspieligen Gefälligkeiten, schweigsamen Handlangern, durch Geldwäsche und ein Netz von 240 Konten soll Anemone lukrative Aufträge erlangt haben, die vor allem aus staatlichen Ausschreibungen - auf Italienisch: appalti - stammen. Es ging um Arbeiten an Ministerien, Kasernen, um ein Gefängnis, Schwimmbäder und andere Großprojekte. Seit zwei Jahren ermitteln die Staatsanwälte, weil bei einem Kasernenbau in Florenz und bei Ausschreibungen für den G-8-Gipfel, der Schwimm-WM in Rom und den 150-Jahr-Feiern zur Einheit Italiens manipuliert wurde.

Die Geschäfte von Anemones Firmen explodierten. Es kursieren verschiedene Zahlen. Die Zeitung La Repubblica rechnete vor, dass Anemone zwischen 2002 und 2009 allein in Rom öffentliche Ausschreibungen für 100 Millionen Euro gewonnen habe. Der Corriere della Sera schreibt, laut Steuerunterlagen sei das Geschäftsvolumen von acht Millionen 2006 auf 65 Millionen 2009 angewachsen. Der große Drahtzieher aber war allem Anschein nach der Chef der Obersten Behörde für staatliche Bauprojekte, Angelo Balducci, 62. Er war Herr über millionenschwere Ausschreibungen, und das auch im Auftrag der mächtigen Zivilschutzorganisation. Balducci verschaffte Anemone wohl zudem Kontakte zum Vatikan. Er war einer der 100 Gentiluomini, die als Laien den Papst bei protokollarischen Ereignissen begleiten, bevor er dieses Ehrenamt wegen Umgangs mit männlichen Prostituierten verlor. Er soll auch ein Konto bei der Vatikanbank IOR besessen haben, über das möglicherweise Geschäfte liefen. Nun sitzt er, wie eine Handvoll weiterer Männer, in Untersuchungshaft. Durch seine Schiebereien soll er zu Immobilien in Tunesien, Paris und Mailand gekommen sein.

52 Schecks

Auch der zurückgetretene Wirtschaftsminister Scajola kam, den Ermittlern zufolge, durch Anemone 2004 zu einer Wohnung mit Aussicht auf das Kolosseum. Scajola - seinerzeit Innenminister - zahlte aus eigener Tasche für die 180 Quadratmeter 600.000 Euro. Dass ein Mittelsmann Anemones mit 80 Schecks weitere 900.000 Euro an die Vorbesitzer gezahlt hat, will der Minister kurioserweise nicht bemerkt haben. Auch ein Geheimdienstgeneral erhielt auf diese Weise Schecks über insgesamt 800.000 Euro - für Eigentumswohnungen für sich und seine Tochter. Ebenfalls für einen Wohnungskauf soll ein leitender Mitarbeiter des Infrastrukturministers Unterstützung erhalten haben: 520.000 Euro in Form von 52 Schecks.

Italien
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Silvio Berlusconi ist erneut in Bedrängnis: Diesmal geht es um eine Prostituierte und eine junge Bauchtänzerin. Seine angeblichen Affären sind in Italien fast schon Dauerthema.

Ging es nur um ein paar zehntausend Euro, die Anemone schnell mal für kleinere Gefälligkeiten brauchte, etwa für bezahlte Begleiterinnen für seine Günstlinge, rief er einen Geistlichen vom Orden der "Missionare vom Kostbaren Blut" an. Der verwahrte für ihn Schwarzgeld und soll auch größere Schecks gewaschen haben. "Don Bancomat" wird er deshalb genannt.

Zivilschutzchef Bertolaso wiederum steht im Verdacht, dass er sich nach seinen Einsätzen in einem Sportclub, der Anemone gehörte, von einer Prostituierten aufpäppeln ließ. Bertolasos Frau erhielt wiederum Aufträge von Anemone. In seinem Amt kann der Zivilschützer über sehr viel Geld verfügen, ohne die üblichen Ausschreibungen und Prozeduren bei der Auftragsvergabe einhalten zu müssen - es geht bei seinem Job ja immer um dringende Angelegenheiten. Der Zivilschutz in Italien ist aber auch an Planung und Organisation von Großereignissen beteiligt, etwa der Schwimm-WM oder den Feiern zum Jubiläum der Staatsgründung und des G-8-Gipfels 2009.

Der war auf La Maddalena geplant, einer Inselgruppe vor Sardinien, wo große Projekte in Gang gesetzt wurden. Auf der Hauptinsel stehen jetzt millionenteure, halbfertige Gebäude, weil der Gipfel für sehr viel Geld schnell in die Erdbebenstadt L'Aquila verlegt wurde. Dort konnte der Zivilschutzchef nicht nur Aufträge für Notunterkünfte und Aufräumungsarbeiten vergeben, sondern auch für alles, das nötig war, um die Mächtigen der Welt zu beherbergen. Bertolaso bestreitet alle Vorwürfe, lässt aber wissen, dass er sein Amt ohnehin bald aufgeben will.

Der erste Prozess in der Affäre - weil sie sich um öffentliche Ausschreibungen dreht, wurde sie "Appaltopoli" getauft - soll Mitte Juni beginnen. Inzwischen dürften viele weiter zittern: Bauunternehmer Anemone hat ein Verzeichnis mit 412 Namen von Leuten, für die er gearbeitet haben will. Italiens Rechnungshof-Chefs nannten die Korruption unlängst eine schwere Krankheit. Von 2008 auf 2009 seien die Fälle in Italien um 229 Prozent gestiegen. Immerhin beschleunigt "Appaltopoli" nun wohl die Verabschiedung eines Anti-Korruptionsgesetzes. Und: Berlusconi spricht nicht mehr von einer politischen Verschwörung der Justiz, wenn ihre Ermittlungen Mitglieder der Regierung betreffen.

© SZ vom 19.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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