Gewalt in Tibet:Dalai Lama droht mit Rücktritt

Nach Tagen der Gewalt in seiner Heimat und harschen Worten aus Peking denkt der Dalai Lama an Rücktritt. Sollte die Gewalt in Tibet außer Kontrolle geraten, müsse er auf sein Amt verzichten, sagte das geistliche Oberhaupt der Tibeter.

Der Dalai Lama hat seinen Rücktritt für den Fall angekündigt, dass die gewaltsamen Proteste von Tibetern außer Kontrolle geraten. Das geistliche Oberhaupt der Tibeter hat seine Landsleute zu Zurückhaltung aufgerufen. Falls die Gewalt außer Kontrolle gerate, habe er nur die Wahl zurückzutreten, sagte der Dalai Lama am Dienstag im indischen Exil in Dharmshala.

Dalai Lama China tibet reuters

Sprach von "kulturellem Genozid" in Tibet: der Dalai Lama

(Foto: Foto: AFP)

Ein ranghoher Berater präzisierte wenig später die Äußerungen des Dalai Lama. "Sollten die Tibeter den Weg der Gewalt wählen, müsste er zurücktreten, denn er ist völlig der Gewaltfreiheit verpflichtet", erklärte Tenzin Tahkla. "Er würde als politischer Führer und Staatsoberhaupt zurücktreten, aber nicht als der Dalai Lama. Er wird immer der Dalai Lama bleiben."

Der Dalai Lama rief die Tibeter nachdrücklich zu einem Gewaltverzicht und "guten Beziehungen" mit China auf. Tibeter und Chinesen müssten "Seite an Seite leben", sagte der 72-jährige Friedensnobelpreisträger.

Eine vollständige Unabhängigkeit der von China kontrollierten Himalaya-Region komme nicht in Betracht, sagte der Dalai Lama weiter. Allerdings sei er nicht in der Position, den unter chinesischer Herrschaft lebenden Tibetern zu sagen, was sie tun sollten.

Gleichzeitig wies der Dalai Lama Vorwürfe der Regierung in Peking zurück, für die gewalttätigen Unruhen in Tibet verantwortlich zu sein. Chinesische Regierungsvertreter seien eingeladen, sich am Sitz des tibetischen Exilregierung in Dharamsala davon zu überzeugen, dass es keinerlei Verbindungen zwischen dem Dalai Lama und dem jüngsten Ausbruch der Gewalt gebe.

Zuvor hatte der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao das religiöse Oberhaupt der Tibeter und seine Anhänger für die Proteste verantwortlich gemacht. Die Unruhen hätten schwere Verluste an Menschenleben und Eigentum verursacht, sagte Wen.

Vorwürfe des Dalai Lama von einem "kulturellen Völkermord" in Tibet wies der Regierungschef als "Lügen" zurück. China lägen "hinreichende Fakten und reichlich Beweise" vor, wonach die "Dalai-Lama-Clique" die Zwischenfälle in Lhasa "vorsätzlich geplant und organisiert" habe.

Wen Jiabao verurteilte "den Aufruhr, die Prügeleien, Zerstörungen, Brandstiftungen und Plünderungen" und die "äußerst brutalen Methoden" der Demonstranten in Lhasa. Der Regierungschef verteidigte das mit Sicherheitsbedenken begründete Verbot für ausländische Journalisten zur Berichterstattung nach Tibet zu reisen, sprach aber von Überlegungen, eine Reise für ausländische Medienvertreter zu organisieren.

China halte unverändert die Tür zu einem Dialog mit dem Dalai Lama offen, knüpfe daran aber die Bedingungen, dass dieser nicht mehr die Unabhängigkeit Tibets propagiere und dass er erkläre, dass Tibet wie Taiwan "unveräußerlicher Teil" Chinas sei. Allerdings müsse nicht nur betrachtet werden, was der Dalai Lama sage, sondern auch, was er tue, sagte Wen Jiabao und unterstellte dem geistigen Oberhaupt der Tibeter, auch hinter den Protesten vor Chinas diplomatischen Vertretungen in aller Welt zu stehen.

Der UN-Sicherheitsrat wird sich nach Einschätzung von Diplomaten nicht zum Tibet-Konflikt äußern. Es herrsche überwiegend die Ansicht, dass sich China andernfalls provoziert fühlen würde und sich in der Sache dennoch nichts ändere, sagte ein UN-Diplomat, der namentlich nicht genannt werden wollte, am Montag. Allein schon eine Diskussion in der Angelegenheit würde wohl von China abgewiesen.

Es stelle sich deshalb die Frage, was mit einem Disput erreicht werden könne. Ein anderer UN-Diplomat bestätigte diese Ansicht. Der chinesische UN-Vertreter Liu Zhenmin sagte Reuters, in einer Sitzung am Montag sei das Thema Tibet nicht angesprochen worden. "Das hat nichts mit Frieden und Sicherheit zu tun", sagte er. Vielmehr sei es eine inländische Angelegenheit.

Nach offiziellen Angaben aus Peking wurden bei dem antichinesischen Aufstand seit Freitag 16 Menschen getötet. Exil-Tibeter sprechen von bis zu 80 Todesopfern. Sie befürchten eine Militäroffensive Chinas in Tibet - ein entsprechendes Ultimatum an die Demonstranten lief am Montag um Mitternacht ab.

Die Proteste in der tibetischen Hauptstadt Lhasa hatten am 10. März friedlich begonnen, dem Jahrestag der Niederschlagung des Aufstandes der tibetischen Bevölkerung gegen die chinesische Herrschaft 1959.

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