Gewalt in Syrien:Ärzte ohne Grenzen prangert Folter an

Wer es über die Grenze schafft, hat das Schlimmste hinter sich. Ins Nachbarland Jordanien flüchten immer mehr Syrer, die den Gräueltaten des Assad-Regimes ausgesetzt waren. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen berichtet von "allen möglichen Arten von Folter" - und fürchtet, die schlimmsten Fälle noch gar nicht gesehen zu haben.

Friederike Grasshoff

Es gibt nicht mehr viel, was Antoine Foucher schockieren könnte. Seit drei Monaten beobachtet der französische Projektleiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, wie syrische Flüchtlinge mit Kriegsverletzungen in der Unfallchirurgie der Klinik in Amman eintreffen - Kopfverletzungen, Verbrennungen oder Knochenbrüche gehören zum Klinikalltag. Auch von grausamer Misshandlung durch das Assad-Regime erzählen die Vertriebenen.

Im Gespräch mit der SZ berichtet Foucher von "allen möglichen Arten von Folter", die er bei den Verletzten aus Syrien gesehen habe. Ein Fall ist ihm in der Masse des täglichen Leids besonders präsent, für die Ärzte auf der Unfallchirurgie sei es ein medizinisch sehr komplexer Fall: "Man ließ einen Sprengsatz in der Hand eines Syrers explodieren, mehrere Finger wurden abgerissen", behauptet der 42-Jährige. Foucher arbeitet seit 18 Jahren für Ärzte ohne Grenzen, seit drei Monaten leitet er das Hilfsprojekt in der jordanischen Hauptstadt, die ungefähr 70 Kilometer von der Landesgrenze zu Syrien entfernt liegt.

Für viele Syrer ist die Flucht in die Nachbarländer Jordanien, Libanon und die Türkei der einzige Weg, sich vor den Gefechten in ihrer Heimat zu schützen. Seit einem Jahr bekämpft Präsident Assad das eigene Volk. Mehr als 7500 Menschen sollen den Kämpfen nach Angaben der Vereinten Nationen bislang zum Opfer gefallen sein. Die jordanische Regierung schätzt, dass seit März vergangenen Jahres mehr als 70.000 Syrer in das Königreich geflüchtet sind.

"Medizin als Mittel der Verfolgung"

Da die syrische Regierung keine Journalisten ins Land lässt, berichten Reporter im Nachbarstaat Jordanien über die Opfer der Gewaltherrschaft, so auch Journalisten der Nachrichtenagentur AFP. Doch was ist Propaganda? Was Realität? Die Journalisten müssen sich auf das Erzählen von Schicksalen verlassen. So erzählen sie die Geschichte eines vierfachen Familienvaters, der in seinem Heimatland Syrien gegen die Regierung demonstriert hatte. Schwer verletzt liegt er nun in der Klinik in Amman. 15 Tage lang sei er in einem Keller gefoltert worden - mit Schlägen und Elektroschocks.

Der Mann berichtet, die Wärter hätten ihn verprügelt und ihm befohlen, sich vor einem Bild des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad niederzuwerfen, nachdem er diesen in seiner Zelle lautstark verflucht hatte.

Ein 26-jähriger Bauarbeiter, der ebenfalls schwer verletzt in Amman behandelt wird, sagte den AFP-Reportern: "Viele meiner Verwandten und Freunde wurden nach Protesten verhaftet. Einigen wurden die Fingernägel abgezogen, Teile der Ohren abgeschnitten oder der Penis abgetrennt." Er selbst sei noch glimpflich davongekommen - Soldaten hätten ihm mit Pistolenschlägen das rechte Bein gebrochen und am Kopf verletzt.

Zu der anhaltendenden Gewalt kommt die fehlende medizinische Versorgung: "Medizin wird als Mittel der Verfolgung eingesetzt", klagt Marie-Pierre Allié, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen in Frankreich. Das syrische Regime gehe gezielt gegen verwundete Demonstranten und gegen Mediziner vor, die die Opfer der Gewalt im Land behandelten.

Die Hilfsorganisation kann derzeit nicht im Land selbst arbeiten, steht aber mit Ärzten in Syrien in Kontakt. "Es ist entscheidend, dass die syrischen Behörden die Neutralität der medizinischen Einrichtungen wiederherstellen", teilt Allié auf der Internetpräsenz von Ärzte ohne Grenzen mit.

Im Krankenhaus von Amman haben die ausländischen Mediziner mehr als 60 syrische Flüchtlinge behandelt, seitdem das Projekt vor circa zehn Monaten ins Leben gerufen wurde. Eingeliefert würden vor allem junge Regimegegner im Alter von 20 bis 30 Jahren, sagt Projektleiter Foucher.

Viele Verletzte schaffen es jedoch nicht bis Amman - sie scheitern an Grenzkontrollen. "Wenn die Menschen verletzt sind, werden sie automatisch vom Regime verdächtigt und von den Sicherheitsbeamten aufgehalten", sagt Foucher. Deshalb befürchtet er, "die schlimmsten Fälle" von Folter seien noch unbekannt.

Mit Material von AFP und dpa

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