Gewalt in Nahost:Krieg ohne Journalisten

Israel und die Hamas bekämpfen sich im Gaza-Streifen erbittert. In einem sind sie sich allerdings einig: sie wollen keine unabhängigen Berichterstatter. Die Folge: Viele Bilder trügen.

Tomas Avenarius, Kairo

Napoleon wusste, dass zum Krieg mehr gehört als Kavallerie und Kanonen. Eine kritische Zeitung sei "gefährlicher als 10.000 Bajonette", so Bonaparte. Dem Strategen war klar, dass der Erfolg im Krieg auch von der öffentlichen Meinung abhängt.

Gewalt in Nahost: Beide Kriegsparteien behindern die Presse. Was in Gaza passiert, bleibt im Dunkeln.

Beide Kriegsparteien behindern die Presse. Was in Gaza passiert, bleibt im Dunkeln.

(Foto: Foto: AFP)

Weshalb die Manipulation der Medien ein Instrument ist, dessen sich alle Kriegsherren bedienen. Propaganda, geschickte Fehlinformation oder dreiste Lügen sind Waffen des obersten Heereskommandos, seit über Kriege berichtet wird.

Israels Militär kennt die napoleonische Lektion. Es hat den Feldzug gegen die Hamas lange geplant. Dazu gehörte, ausländischen Journalisten vor sechs Wochen den Zugang zum Gaza-Streifen zu verbieten, ohne Angabe von Gründen. Als die israelischen Bomben fielen, war offensichtlich: Der Angriff auf die Hamas sollte ohne unabhängige Reporter stattfinden.

Israel setzt, um eigene Verluste zu vermeiden, auf größtmögliche Feuerkraft; das muss auf einem winzigen, dicht besiedelten Territorium zu einer unverhältnismäßig hohen Zahl von zivilen Opfern führen. Wie die Berichterstattung darüber aussehen würde, lag nahe: vernichtend.

Das alles ist nicht neu: Krieg ist immer ein Gemetzel, Militärzensur Alltag. Meist gelingt es Reportern dennoch, ihre Arbeit zu tun: Als die Sowjets über Afghanistan herfielen, setzten sie Kopfgelder auf westliche Berichterstatter aus. Auch in Tschetschenien konnten die Russen die Presse nicht aussperren: Korruption in der Armee machte Kontrollpunkte durchlässig.

Die US-Streitkräfte nahmen Journalisten im Irak in ihre Reihen auf: Zu kritischen Anmerkungen der "eingebetteten" Berufsbeobachter kam es dennoch. Kriegsberichterstattung hatte so ihre Begrenzungen. Aber sie erfüllte ihren Zweck: Die Lage darzustellen, ohne Partei zu sein, ohne selbst Angehörige unter den Opfern zu haben und ohne eigene Interessen zu vertreten.

Doch der Kampf um Gaza hat Besonderheiten: Das Gebiet ist abgeriegelt, die Grenzen sind unüberwindbar. Reporter kommen nicht hinein. Und Flüchtlinge nicht heraus. Frauen und Kinder bleiben dem Bombardement ausgeliefert. Wegen dieser Eigenheiten Gazas sterben mehr Zivilisten als in anderen Konflikten, aus denen es Fluchtwege gibt. Und dank dieser Eigenheiten Gazas erreicht Israel sein Ziel, die Folgen des Kampfes gegen die Hamas zu verschleiern.

Die Bilder verblutender Kinder und Frauen gehen dennoch um die Welt. Die palästinensischen Journalisten in Gaza selbst sind für Israels Zensoren nicht greifbar. Aber sie sind erreichbar für die Hamas. Die Islamisten verhalten sich bei der Behinderung der Medien wie Gesinnungsgenossen der Israelis. Während es jede Menge TV-Bilder verletzter Zivilisten gibt, sind keine Aufnahmen von kämpfenden und von toten Hamas-Militanten zu sehen.

Übereinstimmung zwischen Rechtsstaat und Islamistenregime

Wer an den israelischen Siegesmeldungen zweifelt, kann nicht beurteilen, ob die Hamas wirklich große Verluste hat. Auch die Stimmen derer fehlen, die Durchhalteparolen der Hamas ablehnen: Es gibt sie ohne Zweifel. Palästinensische Journalisten müssen aber mit brutalen Repressionen rechnen, wenn sie darüber berichten wollen.

So reichen sich Israel und die Hamas in stillschweigender Übereinstimmung die Hände: An freier Berichterstattung haben in diesem Krieg beide Seiten kein Interesse. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied. Israel gilt als einzige Demokratie im Nahen Osten, als Rechtsstaat. Es erfüllt diesen Anspruch derzeit nicht.

Das oberste israelische Gericht hat einer Klage der in Israel ansässigen Journalisten entsprochen, es hat die Regierung aufgefordert, einen Pool von acht Berichterstattern nach Gaza einreisen zu lassen. Hunderte ausländische Reporter stehen aber weiter an der Grenze. Nur einige wenige durften kurz mit der israelischen Armee in die hintersten Linien. Das hat das israelische Gericht mit seinem Medien-Urteil nicht gemeint.

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