Eskalation der Gewalt:Ägypter erwarten "Freitag der Wut"

Supporters of deposed Egyptian President Mohamed Mursi shout slogans with the Egyptian flag during a march to show solidarity with his supporters in Egypt, in Sanaa

Unterstützer von Ägyptens Ex-Präsident Mohammed Mursi

(Foto: REUTERS)

Ägypten steht neue Gewalt bevor. Islamisten drohen mit weiteren Protesten, die Regierung erlaubt ihren Sicherheitskräften, mit scharfer Munition zu schießen. Mursi-Gegner wollen Bürgerwehren bilden. Trotz der weltweiten Kritik verweigert die ägyptische Führung jede Einsicht.

Auch zwei Tage nach der blutigen Räumung der Protestlager der Islamisten drohen in Ägypten weitere gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Islamisten: Anhänger der radikalen Islamisten-Vereinigung Dschihad wollen am Freitag gemeinsam mit den Muslimbrüdern gegen die vom Militär eingesetzte Übergangsregierung protestieren. Von den Islamisten seien unter dem Motto "Freitag der Wut" friedliche Kundgebungen geplant, aber niemand könne garantieren, dass es nicht auch zu Gewalt und Brandanschlägen komme, hieß es aus der Islamischen Partei.

Die Nationale Heilsfront, eine lose Allianz liberaler und linker Kräfte, forderte indes, die Ägypter müssten gegen die offensichtlichen Terror-Akte der Muslimbrüder auf die Straße gehen. Auch die Protestbewegung "Tamarud", die Ende Juni die Massenproteste gegen Präsident Mohammed Mursi organisiert hatte, rief die Bürger auf, am Freitag in ihren Wohnvierteln Bürgerwehren zu bilden, um ihre Häuser sowie die lokalen Moscheen und Kirchen vor möglichen Attacken der Islamisten zu schützen.

Regierung gibt scharfe Munition frei

Das ägyptische Innenministerium wies die Polizei an, ab sofort mit scharfer Munition auf Plünderer und Saboteure zu schießen. In einer Erklärung hieß es, der Anlass dafür seien "Terrorattacken der Organisation der Muslimbrüder auf verschiedene Einrichtungen von Regierung und Polizei in mehreren Provinzen". Damit solle verhindert werden, dass öffentliche Gebäude in Brand gesetzt und Waffen aus Polizeistationen gestohlen werden. Die Regierung hatte bereits zuvor trotz massiver internationaler Kritik das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte verteidigt.

Das Ausmaß der Gewalt vom Mittwoch wird unterdessen immer deutlicher. Die ägyptische Regierung korrigierte die Zahl der Toten übereinstimmenden Medienberichten zufolge auf 638 nach oben. Verletzt wurden demnach mehr als 4000 Menschen.

Der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Gewalt in Ägypten. Zugleich wurden alle Parteien aufgerufen, die "Aggressionen" einzustellen, wie Argentiniens Vertreterin Maria Cristina Perceval als derzeitige Ratspräsidentin nach einer Dringlichkeitssitzung des Gremiums mitteilte.

Die USA riefen Bürger zum Verlassen des Landes auf. Alle dort lebenden Amerikaner seien angehalten, aus dem nordafrikanischen Staat auszureisen, teilte das US-Außenministerium mit. Das Ministerium begründete seine Reisewarnung mit den politischen und sozialen Unruhen.

Bündnis belastet

Zwischen den Verbündeten USA und Ägypten wird der Ton immer rauer. Kairo kritisierte Äußerungen von US-Präsident Barack Obama und sprach von terroristischen Handlungen, die sich gegen Regierungsgebäude und lebenswichtige Einrichtung richteten. In der Erklärung des Büros von Übergangspräsident Adli Mansur hieß es: "Die Präsidentschaft fürchtet, dass Erklärungen, die nicht auf korrekten Fakten basieren, gewalttätige bewaffnete Gruppen stärken und sie in ihrem Widerstand gegen Stabilität und den demokratischen Übergang bestärken könnten."

Obama hatte zuvor erklärt, die USA verurteilten die Maßnahmen der Übergangsregierung und der Sicherheitskräfte scharf. Eine traditionelle gemeinsame Trainingseinheit beider Streitkräfte wurde abgesagt. Die Militärhilfen für Ägypten blieben jedoch vorerst unangetastet.

Mehrere westliche Staaten, darunter Deutschland, bestellten die ägyptischen Botschafter ein. Die EU-Außenminister wollen die Lage in dem Land voraussichtlich Anfang kommender Woche erörtern. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte im ZDF-heute journal, er habe die Lage mit seinem US-Kollegen John Kerry am Telefon besprochen. Es gelte nun, das weitere Vorgehen international abzustimmen. Sein Ministerium hat bislang eine Teilreisewarnung für Ägypten erlassen und rät von Reisen in das Land ab.

Viele Reisewarnungen

Die Türkei gab bekannt, ihren Botschafter in Ägypten zu Konsultationen nach Ankara zurückzurufen. Wegen der Unruhen schloss auch Kanada seine Botschaft in dem Land vorerst. Die Sicherheitslage werde in den kommenden Tagen beobachtet, sagte eine Sprecherin des kanadischen Außenministeriums am Donnerstag. Je nach Entwicklung könne die Botschaft bereits am Sonntag wieder geöffnet werden.

Mehrere skandinavische Reiseveranstalter entschieden, ihre Urlauber aus dem Land zurückzuholen. Das meldete die dänische Nachrichtenagentur Ritzau am Donnerstagabend. Betroffen seien mehrere hundert Dänen, Norweger und Schweden. Die Reiseveranstalter Star Tour, Ving, Apollo und Spies wollten ihre Gäste bis spätestens Montag wieder nach Hause holen. Künftige Reisen nach Ägypten würden bis Anfang Oktober eingestellt. Anlass sei eine Reisewarnung der dänischen, schwedischen und norwegischen Regierungen, die vor unnötigen Reisen nach Ägypten abraten. Bislang hatte diese Warnung nur für Kairo und den Nord-Sinai gegolten.

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