Gewalt gegen Politiker:Göring-Eckardt: "Am liebsten hätte ich ihr ja eine runtergehauen"

Grüne nach der Bundestagswahl

Katrin Göring-Eckardt hat ein verstörendes Erlebnis in Magdeburg hinter sich. (Archivbild)

(Foto: dpa)

Sahra Wagenknecht bekommt eine Torte ins Gesicht. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt wird von einer Frau angespuckt. Ein Gespräch über Gewalt gegen Politiker.

Interview von Thorsten Denkler, Berlin

Eine kurze Pause nur zwischen zwei Wahlkampf-Terminen in Sachsen-Anhalt. Die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, setzt sich in ein Café in Magdeburg. Eine Frau kommt auf sie zu, in keiner Weise auffällig, jedenfalls nicht erkennbar verwirrt. Dann dies: Die Frau spuckt Göring-Eckardt ins Gesicht. Einfach so, in aller Öffentlichkeit. Und beschimpft sie wegen ihrer offenen Haltung zu Flüchtlingen. Die Frau geht. Und lässt eine perplexe Politikerin zurück. Zeit für ein Gespräch.

SZ.de: Frau Göring-Eckardt, neue Zahlen zeigen, die Gewalt gegen Mandatsträger hat deutlich zugenommen. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?

Katrin Göring-Eckardt: Das betrifft nicht nur Mandatsträger, sondern viele Menschen, die sich engagieren, etwa in der Flüchtlingshilfe. Also Leute, die im weitesten Sinne in die Kategorie "Gutmenschen" fallen.

Ist es gefährlicher geworden, mit seiner politischen Überzeugung in die Öffentlichkeit zu gehen?

Das kann ich nicht einschätzen. Solche Angriffe hat es früher auch gegeben. Was ich aber sehe, ist, dass die Hemmschwelle, Personen in der Öffentlichkeit auch persönlich anzugehen, deutlich gesunken ist. Politiker werden angeschrien, beschimpft oder bespuckt. Da hat sich etwas verändert.

Am vergangenen Wochenende hat Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht eine Torte ins Gesicht bekommen. Gleiches erlebte vor einigen Wochen die AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Justizminister Heiko Maas wäre fast verprügelt worden nach einer 1. Mai-Rede in Zwickaufrede. Ihnen selbst hat eine Frau in Magdeburg in einem Café ins Gesicht gespuckt.

Ja.

Ist es ein Unterschied zu wissen, dass so etwas passieren kann und es dann tatsächlich am eigenen Leib zu erleben?

Im ersten Moment habe ich mich hilflos gefühlt. Meine Reflexe haben nicht funktioniert. Ich war so verdattert, dass ich nicht mal auf die Idee gekommen bin, Zeugen um Hilfe zu bitten, um die Frau anzeigen zu können.

Und dann?

Im zweiten Moment werde ich wütend. Am liebsten hätte ich ihr ja eine runtergehauen. Das habe ich zum Glück nicht getan. Um im dritten Moment werde ich aktiv. Die Frau hat mich für meine Flüchtlingspolitik beschimpft und angespuckt. Da sage ich: So kriegt ihr mich nicht klein. Jetzt erst recht.

Bleibt nur gewonnene Stärke zurück?

Nein. Wer so etwas erlebt, der fühlt sich danach angreifbarer und verletzlicher als zuvor. Dennoch würde ich keinen einzigen Schritt zurückweichen. Und solange es nur mich betrifft, kann ich damit umgehen. Was gar nicht geht: wenn Mitarbeiter oder meine Familie wegen meiner Arbeit bedroht werden. Dagegen gehe ich mit allen juristischen Mitteln vor.

Glauben Sie, die Frau wollte Sie überzeugen, eine andere Politik zu machen?

Das kann ich nicht beurteilen. Aber wenn es so wäre, dann funktioniert das so bestimmt nicht. Bei mir nicht und sicher auch nicht bei anderen Politikern. Da mache ich keinen Unterscheid zwischen mir, der Torte auf Frau Wagenknecht oder jener auf Frau von Storch. Auch wenn mich Frau von Storch mit ihren Positionen oft wütend macht.

Nach den beiden Tortenwürfen hat sich jeweils sehr viele Häme über die beiden Politikerinnen ergossen. Können Sie Tortenwürfen auf öffentliche Personen etwas Lustiges abgewinnen?

Nein, ich finde das gar nicht lustig, in keiner Weise. Alles, was tätlich gegen eine einzelne Person geht oder die Person beleidigt, da ist bei mir Schicht im Schacht. Politik darf auch lustig sein. Aber es gibt Grenzen. Völlig egal, um wen es da geht.

Haben Sie heute mehr Angst, auf die Straße zu gehen?

Das nicht. Aber seitdem ich in der Öffentlichkeit bekannter bin, überlege ich mir schon, ob ich im Dunkeln noch allein von A nach B gehe, wenn andere wissen können, dass ich da gleich entlanglaufe. Da muss ja nur einer ein Foto auf Twitter posten, am besten noch mit Standort. Ich bin vorsichtiger geworden, lasse mir die Freiheit aber nicht nehmen.

"Wir müssen auf allen Positionen Demokratie verteidigen"

Der 1. Mai ist friedlich wie nie. Gewaltsame Demonstrationen wie in den 80er Jahren gibt es nicht mehr. Gleichzeitig nimmt die alltägliche Gewalt gegen Andersdenkende zu. Woran liegt das?

Viele Auseinandersetzungen damals sind im Kollektiv verlaufen. Wir gegen die. Allerdings glaube ich, dass das heute gar nicht so anders ist. Ich glaube, die Menschen, die gegen einzelne Politiker oder Ehrenamtliche handgreiflich werden oder im Netz pöbeln, fühlen sich nicht allein. Die glauben, dass sie viele Leute hinter sich haben. Aber sie haben auch nicht mehr das Gefühl, dass auf der anderen Seite ein Mensch ist.

Wie meinen Sie das?

Es kommt mir vor, als wäre da eine virtuelle Mattscheibe zwischen diesen Personen und denen, die sie im Netz wüst beschimpfen. Ich erlebe, dass sich Leute bei mir entschuldigen, wenn sie für ihren beleidigenden, widerwärtigen Post eine Anzeige erhalten. Manche werden das auf Anraten ihres Anwaltes machen. Bei manchen lese ich aber auch ehrlich gemeinte Entschuldigungen heraus. Als ob ihnen erst mit der Anzeige bewusst geworden ist, was sie da eigentlich gemacht haben. Sie sind über sich selbst erschrocken, dass sie einen Menschen so behandelt haben.

Diese gefühlte Mattscheibe schafft also erst die nötige Distanz?

Das glaube ich, ja. Dazu kommt, dass Pegida oder die AfD Debatten befeuern, die manche ermuntern, da noch eins draufzusetzen.

Stimmt die These von der Verrohung der Gesellschaft?

Nein, es gibt nicht eine Verrohung der Gesellschaft. Es gibt einen Teil der Gesellschaft, der seine Rohheit, seine Aggressivität jetzt schneller nach außen trägt. Das Gute ist, der Mainstream ist nicht so. Die Mehrheit der Gesellschaft will, dass der soziale Zusammenhalt funktioniert, dass es friedlich zugeht im Land.

Ist es nicht auch Sinnbild für eine Krise der Demokratie, wenn Debatten ersetzt werden durch Tortenwürfe, durch Anspucken und Schläge ins Gesicht?

Wir müssen auf allen Positionen Demokratie verteidigen. Und wir brauchen wieder mehr echte Debatten. Tortenwürfe ersetzen die sicher nicht. Politik sollte ihre Entscheidungen wieder mehr und besser erklären. Sonst haben die Spalter der Gesellschaft leichtes Spiel. Denen dürfen wir das Feld nicht überlassen.

Zum Beispiel?

Nehmen wir die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Den Anfang ihrer Politik habe ich absolut geteilt. Nicht das, was sie jetzt macht. Aber so oder so, sie hat ihre Politik nicht wirklich erklärt. Sie redet darüber, auch im Parlament wurde abgestimmt. Aber sie hat nie erklärt, warum sie das so macht, mit welcher inneren Motivation. Das betrifft auch andere Themen. Wir Grünen etwa setzen inzwischen voraus, dass alle wissen, Atomkraft ist hochgefährlich. Und dann kommt die AfD und sagt, die ist gar nicht so gefährlich, und plötzlich glauben das viele Menschen. Da haben auch wir einiges zu erklären, von dem wir dachten, das sei längst klar und Konsens.

Gibt es auch Menschen, um die es sich nicht mehr lohnt zu kämpfen?

Es gibt Leute, von denen ich sagen würde, da reicht meine Zeit einfach nicht. Die komplett abgedriftet sind, rassistisch, die wollen gar keine Argumente hören. Andere sind nur gefangen in einer Meinungsblase. Da hilft es mitunter - ich bleibe mal bei der Flüchtlingspolitik - wenn sie einen Flüchtling kennenlernen. Am Kaffeetisch ändert sich ihr Bild sehr schnell.

Viele leben in einer Parallelwelt, in die Sie auf den klassischen Wegen gar nicht vordringen können.

Und diese Menschen sind oft nur noch bereit das zu glauben, was in den Medien zu lesen ist, die diese Parallelwelten bedienen. Als es um die angebliche Vergewaltigung eines deutsch-russischen Mädchens ging, sagte eine Frau auf den Einwurf, es sei doch jetzt klar, dass das nicht passiert ist, in die Kamera: "Das mag sein, aber ich glaube es trotzdem." So jemanden werden wir nicht mehr überzeugen können.

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