Gewalt gegen Homosexuelle:Mit Eiern beworfen, mit Stöcken verprügelt

Estland gilt als eines der fortschrittlichsten Länder der Welt. Doch als 500 Schwule und Lesben durch die Hauptstadt Tallinn zogen, wurden sie bespuckt, mit Eiern beworfen und mit Stöcken angegriffen. Eine Reaktion, die in Osteuropa fast normal geworden ist.

Matthias Kolb, Estland

Der Samstag beginnt mit einer Bombendrohung. Die Sauna-Straße, in der sich Estlands bekanntester Schwulen-Club "Angel" befindet, wird abgesperrt, doch die Polizei kann den angeblich dort angebrachten Sprengstoff nicht finden. Während die 500 Teilnehmer auf das Startsignal warteten, fliegen die ersten Eier. "Das haben sie von den Letten gelernt", sagt ein Homosexueller aus Riga und wischt sich das Eigelb aus den Haaren.

Gewalt gegen Homosexuelle: Rechtsradikale Demonstranten werfen Eier auf die Teilnehmer der "Gay Parade" in Estlands Hauptstadt Tallinn.

Rechtsradikale Demonstranten werfen Eier auf die Teilnehmer der "Gay Parade" in Estlands Hauptstadt Tallinn.

(Foto: Foto: AP)

Dann geht es los mit einer Viertelstunde Verspätung los: Die "Gay Parade" bildet den Höhepunkt des einwöchigen Festivals "Tallinn Pride". In den engen Gassen der Tallinner Altstadt sorgen die verkleideten Schwulen und Lesben, unter denen sich auch einige Drag Queens befinden, für großes Aufsehen und zustimmendes Klatschen der Touristen.

Doch immer wieder sind laute Rufe zu hören: Etwa 20 Skinheads, die zur Gruppe der so genannten Estnischen Patrioten gehören, grölen "Pede, Pede" - das estnische Wort für Päderast. Sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift "Wehrmacht" oder "Estnische Legion", aber auch das goldene Trikot des italienischen Torwarts Buffon.

Doch die Homosexuellen, von denen einige aus Russland, Polen, Litauen, Schweden und Tschechien angereist sind, bleiben fröhlich und jubeln einem Brautpaar zu, das sich vor der mittelalterlichen Stadtmauer fotografieren lässt.

Als der Umzug die Treppen zur berühmten Newski-Kathedrale erreicht hat, fliegen wieder Eier, doch Polizei und Sicherheitskräfte greifen kaum ein. "Das ist gar nichts - verglichen mit Riga", sagt der Journalist Paul Morton, der die Ereignisse in Lettland verfolgt hat. Dort war der Umzug vor drei Wochen verboten worden - und Extremisten hatten die Besucher eines Gottesdienstes, den ein homosexueller Pfarrer geleitet hatte, mit Eiern und Exkrementen beworfen.

Frauen als erste Opfer

Doch auch in Estland bleibt es nicht ruhig: In der Nähe des Parlaments, nur wenige Meter von der Residenz des deutschen Botschafters entfernt, versammeln sich die Skinheads und pöbeln weiter. Plötzlich stürmen sechs von ihnen in die Menge und prügeln mit Fäusten und Stöcken auf die Teilnehmer ein. Die meisten der etwa 15 Verletzten waren Frauen - ein Spanier muss im Krankenhaus behandelt werden.

Die Attacke dauert nur eine halbe Minute, dann hat die Polizei die Skinheads abgeführt. Sechs Personen, so heißt es später, seien wegen Störung der öffentlichen Ordnung verhaftet worden. Im Zug herrscht Entsetzen, das auch nach dem Umzug nicht weichen will: "Es ist unvorstellbar, dass so etwas in Estland passiert", sagte die Studentin Maali Käbin.

Seit 2004 gebe es die Parade und nie habe es Ausschreitungen gegeben, nicht mal Beschimpfungen. Dennoch kritisierte die Sprecherin Lisette Kampus die Polizei, die zu spät eingegriffen und nicht genügend Einsatzkräfte gestellt habe.

Eine von der Zeitung Postimees veröffentlichte Umfrage ergab im Juni, dass jeder vierte Este nicht neben einem Homosexuellen wohnen möchte. Zuvor hatte der niederländische Botschafter Hans Glaubitz um seine Versetzung gebeten, da sein farbiger Lebenspartner ständig schikaniert und angepöbelt werde.

Estland gilt als eines der tolerantesten Länder der Welt und wurde kürzlich in einer Studie zum freiesten Land der Erde gekürt. Die Geschehnisse zeigen, dass es unter den 1,4 Millionen Esten auch viele ungelöste gesellschaftliche Konflikte gibt.

So sieht es auch der Lette Juris Lavrikovs von der Nichtregierungsorganisation ILGA, die sich für die Rechte homosexueller in Europa einsetzt. "Sicherlich haben die Ereignisse in Riga die Skinheads ermutigt", sagt der Jurist, doch die estnische Gesellschaft müsse das Thema Homosexualität offener diskutieren.

Auch Lavrikovs äußerte sich kritisch über das Vorgehen der Polizei, die durch stärkere Präsenz die Randalierer hätte abschrecken können - er selbst wurde auf dem Weg zur Parade angespuckt und als Päderast beschimpft. ILGA beobachte die Geschehnisse in Osteuropa seit längerem und bereite einen Bericht für den Europarat vor, so Lavrikovs.

Mit Eiern beworfen, mit Stöcken verprügelt

Offene Homosexuellen-Diskriminierung in Lettland

Anders als in Lettland war die Kommunikation zwischen den Behörden und den Homosexuellenverbänden in Estland professionell. Seit Anfang 2006 wird im nördlichsten Baltenstaat über ein neues Familienrecht debattiert. "Wir haben Vorschläge gemacht, wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften rechtlich abgesichert werden können", sagt Kristi Jiristo, eine der Organisatorinnen des "Tallinn Pride". Vertreter der NGOs seien in die Ministerien und in Diskussionsrunden eingeladen worden.

Davon ist man in Lettland weit entfernt: Im Dezember änderte das Parlament die Verfassung, um gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu verbieten. Kurz vor der Sommerpause wurden Homosexuelle aus einem Entwurf für ein Diskriminierungsverbot in der Arbeitswelt gestrichen.

In Lettland wird im Oktober ein neues Parlament gewählt und deswegen unterstützt keine Partei die Forderungen der Homosexuellen. Die konservative Regierung bezeichnete den Umzug gar als das "größte Risiko", das dem Land je drohte und fürchtet den Zerfall der "lettischen Werte". Oppositionspolitiker warnen vor Päderasten, und vor den Kirchen wurden auf Hochglanzpapier produzierte Hefte mit dem Titel "Sodomisten ohne Maske" verteilt.

Vielzahl von Vorfällen in ganz Osteuropa

In Osteuropa werden Homosexuelle in den letzten Monaten immer wieder Opfer von Gewalt. In Polen macht die konservative Regierungskoalition, zu der seit Mai die rechtspopulistische Partei Samoobrona und die ultrakatholische Liga Polnischer Familien (LPR) gehören, Homosexuellen das Leben schwer. In der rumänischen Hauptstadt Bukarest wurden rund 500 Schwule und Lesben bei einer Demonstration Anfang Juni mit Eiern beworfen.

Mitte Mai verurteilte der Europarat die Verfolgung von Schwulen und Lesben in Russland. Bis 1993 standen gleichgeschlechtliche Beziehungen in Russland unter Strafe, erst seit 1999 werden sie offiziell nicht mehr als psychische Krankheit eingestuft. Ende Mai wurde der Grünen-Politiker Volker Beck bei einer Homosexuellen-Demonstration in der russischen Haupt-stadt Moskau angegriffen und verletzt.

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