Gewalt gegen Frauen:Häusliche Rache

Häusliche Gewalt, 2010

Immerwährende Angst: Viele Frauen leiden unter den Drohungen und der Gewalt ihrer Lebenspartner. Irgendwann wird es zu viel, oft, wenn auch die Kinder bedroht werden.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Gefährliche Transparenz: Wie die ärztliche Meldepflicht für Gewaltverletzungen Frauen gefährdet.

Von Ulrike Heidenreich

Kommt eine Frau mit Prellungen, offenen Wunden oder Knochenbrüchen zum Arzt, gerät dieser schnell in ein Dilemma. Sobald er die Verletzungen behandelt hat, ist er verpflichtet, der Krankenkasse den möglichen Verursacher zu melden. Handelt es sich um ein Familienmitglied, etwa den Partner, könnte dies die Situation für die Frau verschärfen und zu noch mehr Gewalt führen. Der Berufsverband der Frauenärzte und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe fordern deshalb dringend, dass sie von dieser ärztlichen Meldepflicht ausgenommen werden - zum Schutz der misshandelten Frauen.

Wenn Ärztinnen oder Ärzte eine Patientin vor sich sitzen haben, deren Verletzungen erkennbar die Folge von Gewaltanwendung sind, müssen sie das dokumentieren, in den Krankenakten vermerken und an die Kasse weiterleiten. Sobald die Krankenkasse den Namen des Gewalttäters hat, versucht sie, die Behandlungskosten von diesem zurückzufordern. "Diese Regelung ist bei Unfällen oder Gewaltanwendung durch fernstehende Personen sinnvoll und bewährt", sagt Christian Albring vom Verband der Frauenärzte. Er warnt aber: "Wenn sich die Gewaltanwendung im sozialen Nahbereich, also durch Partner, Eltern, Geschwister oder Bekannte ereignet hat, kann das Schreiben der Versicherer an den Verursacher der Verletzungen neue Gewaltausbrüche provozieren."

Ärzteverbände fordern, die Weitergabe von Daten flexibel zu regeln

Grundlage ist der Paragraf 294a des Sozialgesetzbuchs V. Darin heißt es: Wenn Hinweise auf "drittverursachte Gesundheitsschäden" vorliegen, sind die an der Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sowie die Krankenhäuser verpflichtet, die Daten den Krankenkassen mitzuteilen. Vor zwei Jahren wurde dieser Paragraf novelliert und zumindest bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen eine Ausnahme von dieser ärztlichen Meldepflicht vorgesehen. Kinderärzte haben nun einen Ermessensspielraum - zum Schutz der Minderjährigen. Wenn Ärzte befürchten, die Weitergabe des Namens könnte zu einer weiteren Spirale der Gewalt in der betroffenen Familie des Kindes führen, müssen sie die Versicherer nicht zwingend informieren.

Anders ist es bei erwachsenen Gewaltopfern aus familiärem Umfeld. Die Meldepflicht erschwere eine vertrauensvolle Kommunikation zwischen Ärztinnen und Patientinnen, sagt Albring: "Sie kann dazu führen, dass Ärzte Opfer zwar betreuen und behandeln, die Gewaltfolgen aber nicht vollständig dokumentieren, um die Patientin vor weiteren Ausbrüchen in ihrem Umfeld zu schützen". Die Gefahr besteht vor allem dann, wenn Patientinnen keine Anzeige gegen ihre Peiniger erstatten wollen. Entweder weil sie hoffen, die Situation beruhige sich wieder. Oder weil sie, nach Erfahrungen der Ärzte oftmals berechtigt, befürchten, das Schreiben des Versicherers führe zu noch mehr brutalen Handlungen. Die Arztverbände dringen beim Gesetzgeber nun darauf, den möglichen Verzicht auf die Meldung von Gewaltdelikten nicht wie bisher auf Kinder und Jugendliche zu beschränken, sondern auch auf Erwachsene auszudehnen.

Die Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt ist sehr hoch. Eine ältere Untersuchung des Bundesfamilienministeriums kam zu dem Schluss, dass etwa jede vierte Frau in einer Beziehung mindestens einmal körperliche oder sexuelle Übergriffe durch den Partner erleben musste. 64 Prozent der Betroffenen erlitten durch die Gewalttätigkeiten des Partners oder Ex-Partners körperliche Verletzungen wie Prellungen, Verstauchungen, Knochenbrüche, offene Wunden sowie Kopf- und Gesichtsverletzungen.

Eine Studie, die die Europäische Grundrechteagentur (FRA) 2014 veröffentlicht hat und für die 42 000 Frauen in 28 EU-Mitgliedstaaten befragt wurden, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Demnach sind sexuelle und psychische Gewalt in der Partnerschaft in Europa stärker verbreitet als angenommen wird. Mehr als jede fünfte Befragte wurde schon einmal Opfer innerhalb ihrer Beziehung. Aber nur 13 Prozent dieser Frauen zeigten schwere Misshandlungen an.

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