Gewalt gegen Asylbewerber:Listen mit Lücken

Gewalt gegen Asylbewerber: SZ-Grafik: Keller. Quelle: SZ-Recherche

SZ-Grafik: Keller. Quelle: SZ-Recherche

Länder und Bund zählen Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte unterschiedlich - es dürften wesentlich mehr Delikte sein.

Von Christian Baars und Jan Bielicki, München/Hamburg

Die Männer zeigten ihre Landtagsausweise. Sie seien von der "sächsischen Heimaufsicht", sagten sie und begehrten Einlass in das neue Asylbewerberheim von Bautzen. Doch die Herren kamen nicht vom Amt. Es waren Neonazis, angeführt von Holger Szymanski, dem Chef der damaligen NPD-Landtagsfraktion, die sich hier den Zutritt erschlichen mit einem Trick, den die sächsischen Ermittler als Amtsanmaßung werteten. Doch es war nur eine von den Taten, die sich 2014 gegen Asylbewerberunterkünfte in Bautzen richteten. "Sieg Heil"-Gebrüll, Hakenkreuz-Schmierereien, Hausfriedensbruch Bedrohung, Verstoß gegen das Versammlungsrecht - es kam einiges zusammen in der Stadt in der Oberlausitz.

Bundesweit hat es im vergangenen Jahr 198 Straftaten gegen Asylunterkünfte gegeben, wie das Bundesinnenministerium kürzlich mitteilte. Die Übergriffe hat das Ministerium in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag im Februar 2015 detailliert aufgelistet, jeden Fall einzeln, mit Datum, Ort und dem Paragrafen im Strafgesetzbuch, gegen den dabei verstoßen wurde. Paragraf 86a ist oft genannt, die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Aber auch: Paragraf 308, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion.

Offenbar funktioniert der Informationsfluss nicht richtig

Doch nur drei der Übergriffe aus Bautzen tauchen in dieser Liste auf, darunter ist der einschüchternde Besuch der NPD-Leute. Sieben andere Taten, die Sachsens Polizei in der Stadt registrierte, finden sich jedoch nicht darin - und das sind keine Einzelfälle. NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung haben bei allen Bundesländern um eine Auflistung der Taten aus den Jahren 2014 und 2015 gebeten. Bei den Antworten fällt auf, dass die Länder offenbar mehr Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte verzeichnet haben als der Bund. Etwa 30 von den Ländern für 2014 aufgeführte Delikte finden sich weder in der Antwort der Bundesregierung noch in einer aktualisierten Liste des Bundeskriminalamts (BKA). Damit läge die Zahl der Attacken auf Flüchtlingsheime für 2014 um bis zu 15 Prozent höher, als vom Bund bisher gemeldet.

Eigentlich sollte es diese Diskrepanz zwischen den Angaben der Länder und der des Bundes nicht geben. "Angesichts der Zunahme von Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte, müssen wir äußerst sensibel sein", hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bereits im April 2014 gewarnt. Das BKA richtete darum eigens eine sogenannte Clearing-Stelle ein, die Informationen über Taten sammelt und auswertet, bei denen eine Unterkunft selbst Tatort oder direktes Angriffsziel war. Offenbar funktioniert der Informationsfluss aber nicht richtig. Zum Teil werden die Daten erst verspätet an den Bund übermittelt. Das zeigt das Beispiel Bayern. In einer Antwort der Bundesregierung vom 6. Februar 2015 tauchen elf Straftaten aus dem vierten Quartal 2014 aus Bayern auf. Zwei Monate später listet das bayerische Innenministerium in einer Antwort auf eine Anfrage fünf weitere Übergriffe aus dem Dezember 2014 auf. Mittlerweile liegen diese auch dem BKA vor.

Allerdings erklären verspätete Meldungen nicht die jetzt noch immer vorliegenden Unterschiede aus anderen Ländern. Die Liste des BKA für 2014 sollte laut Bundesinnenministerium eigentlich aktuell und komplett sein. Nur vereinzelt könnten sich noch Änderungen ergeben haben, heißt es, wenn etwa die Ermittlungen ergeben hätten, dass es sich bei einer vermuteten Straftat doch um einen Unfall gehandelt habe. Doch es fehlen auf der Liste des BKA eine ganze Reihe von Fällen, die die Bundesländer als "Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte" erfasst haben.

Sachsen etwa hat in zwei Antworten der Landesregierung insgesamt 39 solcher Delikte aufgelistet, die sie als "politisch motivierte Kriminalität" (PMK) von rechts oder von sonstigen eingestuft haben. Der Bund kommt nur auf 31 Straftaten, allerdings stehen auf der BKA-Liste auch einige als PMK-rechts eingeordnete Fälle, die wiederum bei den Antworten des Landes fehlen. Nimmt man die Listen zusammen, kommt man auf deutlich mehr als 40 Straftaten gegen Asylunterkünfte in Sachsen im Jahr 2014. Das sächsische Innenministerium teilte mit, es habe aufgrund der Anfrage von NDR, WDR und SZ das Landeskriminalamt beauftragt, die Listen zu überprüfen. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor.

In insgesamt elf Bundesländern unterscheiden sich die Angaben aus den dortigen Ministerien von denen, die BKA und Bundesregierung aufführen. Das Bundesinnenministerium erklärte dazu, dass sich Abweichungen gegebenenfalls daraus ergeben könnten, "dass Sachverhalte zeitverzögert übermittelt/erfasst oder Einzelsachverhalte nicht dem Unterthema 'gegen Asylunterkünfte' zugeordnet wurden".

Die Amadeu-Antonio-Stiftung kritisiert bereits seit Längerem, dass die zuständigen Behörden keine systematische Struktur haben, die Übergriffe auf Flüchtlingsheime zu zählen. Sie führt gemeinsam mit Pro Asyl eine eigene Liste, in der sich noch eine Reihe weiterer Fälle finden, die weder von den Ländern noch vom Bund aufgezählt werden. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nannte es in der Südwestpresse "beschämend, wenn Menschen, die bei uns Schutz suchen, um ihr Leben fürchten müssen". Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wies auf eine Gesetzesänderung hin, die an diesem Samstag in Kraft tritt. Danach sollen Gerichte rassistische und fremdenfeindliche Motive bei einer Straftat besonders berücksichtigen.

Hinweis der Redaktion: Nach Veröffentlichung des Beitrags hat das sächsische Innenministerium seine Angaben gegenüber NDR, WDR und SZ korrigiert. Laut dem aktuellen Stand habe es im vergangenen Jahr 31 Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte gegeben - also genauso viele wie das BKA auflistet. Im Januar hatte das sächsische Innenministerium noch von 44 derartigen Fällen gesprochen. Einige Straftaten seien im Zuge der Ermittlungen nachträglich anders eingeordnet worden, sagte eine Sprecherin zur Begründung.

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